Netz-Depeschen (66):Erzkapitalistischer Weltverbesserer

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Von wegen altruistisch: Wikipedia-Mitbegründer Jimmy Wales macht mittels kostenfreier Autoren Profite.

Niklas Hofmann

Vor anderthalb Wochen kam das von Bertelsmann verlegte " Wikipedia-Lexikon in einem Band" in den Handel, das auf knapp 1000 Seiten Inhalte der deutschsprachigen Version der Online-Enzyklopädie zusammenfasst. Als der Plan für den Druck des Lexikons im Frühjahr bekannt wurde, wandten sich einige der Autoren von Wikipedia ab, enttäuscht über die Kommerzialisierung ihrer kostenlos erbrachten Arbeit. "Dies spricht der ehrenamtlichen Leistung Hohn", beklagte sich einer von Ihnen.

Wikipedia-Mitbegründer Jimmy Wales: Unverhohlene Bewunderung für marktradikale Denker wie Friedrich August von Hayek. (Foto: Foto: AP)

Die Annahme, es gehe bei Wikipedia um Ehrenämter und Altruismus, ist unter den "Wikipedianern" wie in der Öffentlichkeit nicht selten anzutreffen, war aber wohl schon immer falsch.

Zwar hat sich Jimmy Wales, Mitbegründer der Seite und Ex-Präsident der Non-Profit-Organisation Wikimedia Foundation mit wolkigen Reden über Demokratie, Internet und die Weisheit der Massen das Image eines Weltverbesserers zugelegt, der irgendwo in einer Riege mit Al Gore und Bono an der Rettung unserer Zukunft beteiligt ist.

Andererseits macht der ehemalige Börsenoptionshändler Wales keinen Hehl aus seinen erzkapitalistischen Auffassungen, wie jüngst eine ganze Reihe von Artikeln über ihn vor Augen führten.

Gleiches Prinzip freiwilligen Engagements

Seine erste Frau, so berichtet sie in der Septemberausgabe des US-Magazins W, soll er davon abgebracht haben Krankenschwester zu werden, weil er von altruistischer Betätigung grundsätzlich nichts gehalten habe.

Der Economist versuchte im Juni Wales' Karriere aus seiner offen erklärten Bewunderung für libertäre und marktradikale Denker wie Ayn Rand und Friedrich August von Hayek zu erklären.

Einem Roman Ayn Rands, so findet der Blogger und Guardian-Kolumnist Seth Finkelstein, könne auch die Sprache entnommen sein, mit der Wales Menschen dazu bringe, mit Freuden ihre Arbeit kostenlos zu erbringen.

Wales' Firma Wikia Inc., gegründet 2004, ist finanziell nicht mit der Wikimedia Foundation verbunden, profitiere aber, so Seth Finkelstein, finanziell erheblich von der Assoziation mit dem Markennamen der Wikipedia.

Wikia Inc. betreibt die Suchmaschine Wikia Search und verschiedene Themen-Wikis, Spezialseiten , die nach dem gleichen Prinzip wie Wikipedia durch freiwilliges Engagement mit Informationen gefüllt werden.

Wales spricht von den Wikia-Seiten gerne als dem "Rest der Bibliothek". Allein Wookiepedia, ein Wiki zu den Star-Wars-Filmen, enthält 56.000 Artikel, mehr als etwa die kroatische Fassung der Wikipedia. Doch anders als bei der Netzenzyklopädie stellen die Autoren dieser Spezialnachschlagewerke von vornherein ihre Arbeit kostenlos einem profitorientierten Unternehmen zur Verfügung.

Nicht immer läuft das widerstandsfrei. Die Autoren eines Fan-Wikis über Transformers-Spielzeugroboter haben inzwischen im Streit um die von ihnen abgelehnte Platzierung von Anzeigen innerhalb ihrer Artikel Wikia den Rücken gekehrt und ohne Beteiligung von Wales' Firma eine eigene Seite eröffnet. "Was passiert eigentlich, wenn die digitalen Landarbeiter auf den elektronischen Plantagen nicht mehr glücklich sind?", fragt Seth Finkelstein.

© SZ vom 29.9.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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