Neil Postman gestorben:Kindheit als Konzept

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Als er 1984, im Orwell-Jahr, bei der Buchmesse auftrat, erregten seine Thesen ein gewaltiges Echo. Später wurde es ruhiger um Neil Postman, den Autor von "Wir amüsieren uns zu Tode". Jetzt ist er New York gestorben.

Von Fritz Göttler

Das große Finale hat er nicht mehr erlebt, den spektakulären Triumph des Gouvernators, die Stunde, da Politik und Show auf intensive, bis dahin nicht erlebte Weise fusionierten auf der Sonnenseite der USA, wo man sich immer schon den Gesetzen von Spiel, Show und Spannung unterworfen hatte.

Neil Postman (Foto: Foto: dpa)

Zwei Tage, bevor der Megastar Schwarzenegger die grauen Politikmäuse verjagte, ist einer seiner größten Gegner - der Terminator der Medienkritik gewissermaßen - gestorben. Eine gnädige Geste des Schicksals, mag sein, aber sicher nicht ganz ironiefrei.

Todtraurige Titel

Neil Postman war der Leitstern der modernen Medienwissenschaft, und in den Achtzigern waren seine Bücher der Katechismus aller Menschen, die sich verantwortlich fühlten für den Zustand der modernen Welt und die Zukunft ihrer Bewohner - die Profis, also die Pädagogen und Politiker, aber auch alle selbstbewussten, kritischen Bürger der Mediengesellschaften.

Man konnte todtraurig werden, wenn man die Titel las, mit denen Postman seine Bücher versah: "Wir amüsieren uns zu Tode" (1985); "Das Verschwinden der Kindheit" (1984); "Keine Götter mehr. Das Ende der Erziehung" (1995); "Die zweite Aufklärung" (1999).

Ohne Fanatismus

Man darf das natürlich nicht ganz ernst nehmen mit dem Terminator - Neil Postman hat nie seine Position verabsolutiert. Er hat die Achtziger geprägt mit seinen Schriften, aber auch mit seinem Stil.

Er war unerbittlich, aber ohne jede Spur von Fanatismus, energisch, aber immer in Sorge, in einen Predigerton zu verfallen. Einer, der - ganz in der Tradition der amerikanischen Aufklärung - auf die Schlüssigkeit seiner Rede vertraut. Und auf die Kraft der Evidenz.

Evident war für ihn, dass in der modernen Medienlandschaft die Menschen ihre Unschuld verloren haben - und die Kinder vor allem. Wir amüsieren uns zu Tode, das ist eine lapidare Diagnose - eine Kur konnte der Heilpraktiker Postman nicht erzwingen, aber unmissverständlich wollte er hinweisen auf die Symptome.

Zurück zur Natur

Man muss das wörtlich nehmen, diese Vorstellung einer Medienlandschaft, in der Natur und Kultur sich durchdringen: "Die Menschen leben in zwei verschiedenen Umgebungen. Die eine ist die natürliche, sie besteht aus Dingen wie Bäume, Flüsse, Raupen. Die andere ist die Medienumgebung, und die besteht aus Sprache, Zahlen, Bildern, Hologrammen und all den anderen Symbolen, Techniken und Maschinerien, die uns zu dem machen, was wir sind."

Zurück zur Natur wollte Neil Postman seine Mitmenschen bringen, der letzte große Rousseauist der amerikanischen Kultur. Er träumte von einem bedachten, maßvollen Gebrauch der an sich sinnvollen, wertvollen Medien. Er wollte die verheerende Wirkung des Fernsehens rückgängig machen, das intensiv wie nichts zuvor Tod, Sex und Gewalt präsentierte, das die Zuschauer verdummte und infantilisierte.

Der Medienkritiker als Moralist

Das sie zu Zynismus, Apathie und Arroganz verdammte - die Laster der modernen Gesellschaft - und sie des Wertvollsten beraubte, was sie hatten, die Erfahrung der Kindheit, die Sinnlichkeit des Erkennens, das Vergnügen des Intellekts. Als weitere Gegner kamen später der Computer und das Internet dazu, die ihre Nutzer mit sinnlosem Informationsschwall überschütteten.

Als Medienkritiker hat Postman sich immer als Moralist gesehen - was ihn klar von seinem großen Kollegen Marshall McLuhan unterschied. Postman glaubte an Vernunft und Intellekt, aber auch an die Sinnlichkeit - ein Erbe von Emerson und Thoreau.

Vom Moralisten zum Melancholiker

Der medialen Umweltverschmutzung wollte er mit einer eigenen Medienökologie begegnen -er hatte in den Neunzigern den Lehrstuhl für dieses neue Fach inne an der Steinhardt School of Education.

Als Moralist ist Postman schließlich Melancholiker geworden. Dass die Medien sich gewandelt haben in den Neunzigern und damit ihre Funktion, ihre Aufgabe, ihre Wirkung, hat er nicht einbringen können in sein Konzept.

Dass durch sie der Primat der Geisteskraft und -wissenschaft gelockert wird und dadurch Freiheit und Gleichheit eine Chance haben - auch das klingt an im Sieg des Showmanns über die Politprofis.

Alles ist relativ, auch bei Postman, und der Sinn fürs Subversive hat ihn nicht verlassen - "Teaching as a subversive activity" hieß einer seiner frühen Aufsätze aus dem Jahr 1969.

In diesem Sinne ließ Postman immer mit sich reden: "Natürlich gibt es Leute, Geschäftsleute vor allem, die meinen, das Verschwinden der Kindheit sei eine gute Sache.

Selbst jene, die es für eine Katastrophe halten wie wir, müssen im Kopf behalten, dass in hundert Jahren womöglich dies nicht mehr so sein mag. Dann mögen die Leute vielleicht sogar denken, die Kindheit sei gar keine besonders gute Sache, weder für die Jungen noch für die Alten, und je schneller das Fernsehen sie zertrümmerte, desto besser ..."

Am Sonntag ist Neil Postman im Alter von 72 Jahren in Flushing, Queens, an Krebs gestorben.

© SZ vom 10.10.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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