Nachrichten aus dem Netz (32):"Wir sind alle Wikipedianer"

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Nicht nur für Schüler und Studenten ist das Internet-Lexikon Wikipedia eine beliebte Quelle. Auch Profis bedienen sich oft heimlich bei den Inhalten der Netz-Enzyklopädie.

Niklas Hofmann

Das Internet-Lexikon Wikipedia ist für Schüler und Studenten eine beliebte, aber gern verschwiegene Quelle. Das weiß jeder (bis auf manchen Lehrer oder Professor vielleicht). In welchen Ausmaß jedoch längst auch Profis Inhalte der Netz-Enzyklopädie wortwörtlich verarbeiten, darüber gibt es selten Gewissheit.

Jetzt ist es mal wieder so weit: Der eigentlich grundseriöse amerikanische Sachbuchverlag John Wiley & Sons musste einräumen, dass in dem Buch "Black Gold: The New Frontier in Oil for Investors" seines Autors George Orwel, das der Verlag im vergangenen Jahr herausbrachte, mehrere Absätze ohne Quellenangabe Wort für Wort aus einem Wikipedia-Eintrag übernommen worden waren.

Die Quellenangabe jedoch ist die Bedingung dafür, einen Wikipedia-Text kommerziell oder nicht-kommerziell nutzen zu dürfen. Dem Autor des Wikipedia-Eintrags waren die Übereinstimmungen mit seinem Artikel selbst aufgefallen. Der Verlag will die betreffenden Absätze nun überarbeiten lassen.

Auch Baidu Baike schreibt ab

Seit 2005 die chinesische Regierung die Mandarin-Version von Wikipedia unter anderem wegen Einträgen über das Tiananmen-Massaker für ihre Bürger sperren ließ, hat sich Baidu Baike, eine Tochter der chinesischen Google-Konkurrenz Baidu, als staatstreue und selbstzensierende Alternative etabliert.

Ein Großteil des Inhalts kommt jedoch offenbar trotzdem von der echten Wikipedia-Seite. Und auch bei Baidu Baike wird meist vergessen, eben dies zu erwähnen. Die Wikipedia-Lizenz werde von Baidu massiv missachtet, schimpfen Vertreter der Wikimedia-Stiftung.

Die rührigen Administratoren von Baidu Baike beteuern, sie kämen schlicht nicht dazu, gegen die Plagiate vorzugehen. Allzu schwer seien sie mit dem Abblocken "politisch reaktionärer" Inhalte beschäftigt.

Wikipedia einfach als Quelle zu nennen - damit scheint auch die deutsche Supermarktkette Rewe überfordert. In Werbeprospekten klärte der Konzern unlängst über "Kurioses zum Beaujolais Primeur" auf. Zur Verkostung dieses Weins einzufliegen, sei einst ein "Upper-Class-Gaudium" für englische Dandys gewesen, war in den Reklameblättchen zu lesen.

Der Blog "Weinverkostung" fand den Begriff "Upper-Class-Gaudium" im Wikipedia-Artikel über den Beaujolais wieder - und Wort für Wort auch die gesamte übrige Rewe-Prosa zum Thema.

Bei Rewe gab man sich dennoch nonchalant. Wir seien doch alle Wikipedianer, beschied eine Pressedame auf Nachfrage des Blogs, "und freuen uns, wenn unsere wunderschönen Beiträge einer größeren Leserschaft kundgetan werden".

© SZ vom 3.12.2007/aho - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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