Nach dem Stromdebakel:Alle reden vom Wetter - Albanien nicht

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Man wartet gelassen auf den Regen. Denn irgendwie ist er es, der Computer und Bankautomaten und Fernseher antreibt. Doch der Regen bleibt aus - und damit auch die Fernseher. Eine kleine Geschichte der Stromversorgung auf dem Balkan.

Andrzej Stasiuk

Es begann damit, dass mein albanischer Verleger mir schrieb: "Sorry, aber dein Buch kann nicht zum geplanten Termin erscheinen, sondern kommt wahrscheinlich ein bis zwei Monate später. In Tirana gibt es acht bis zehn Stunden am Tag keinen Strom."

Wenn Sie sich stark konzentrieren, dann sehen Sie den Mercedes SL 600 hinter Anisa Kospiri. Das ist die Miss Albanien 2001, die bei der Einweihung des Mercedes-Zentrums in Tirana zugegen war. (Foto: Foto: AP)

Das ist ein recht anständiger Grund für eine Verspätung, dachte ich und schrieb zurück: "In Ordnung, Sokol, kein Problem. Das ist wirklich ein triftiger Grund. Andere Verleger bringen wesentlich weniger überzeugende Argumente."

Später schickten mir Freunde aus Albanien Nachrichten, dass es im Süden des Landes, in Gjirokaster, zwölf Stunden am Tag keinen Strom gibt, und es im Norden, in Kukës an der Grenze zum Kosovo, sogar achtzehn Stunden täglich dunkel und kalt ist.

Albanien schöpft seine elektrische Energie hauptsächlich aus Wasserkraftwerken - auf das ganze Land bezogen sind das etwa 90 Prozent. Die größten befinden sich im Norden am Fluss Drin. In Koman und in Fierzë sind gigantische Staudämme und Kraftwerke entstanden, und der Fluss hat sich in eine Art schmalen See verwandelt, in einen balkanischen Fjord. Mit ein bisschen gutem Willen und Glück kann man Nordalbanien von Shkodër unweit der Adria bis Kukës an der Grenze zum Kosovo auf dem Wasserweg durchqueren. Man kann quer durch das ganze Land fahren. Luftlinie sind das etwa hundert Kilometer, aber der durch Dämme gestaute Fluss windet sich, mäandert, zwängt sich zwischen Bergmassiven durch, und im Endeffekt dauert die Fahrt einen ganzen Tag. Ich bin mehrmals dort entlanggefahren.

Es ist ein reizendes, altertümliches Stück Europa. Straßen gibt es dort nicht. Die Leute steigen aus dem Schiff, aus einer Flussfähre, die aus einem alten Boot und einer Autobuskarosserie gebaut ist, und am Ufer warten Lastesel auf sie. Man lädt ihnen alles auf, was man an Ort und Stelle nicht loswerden kann. Plastikschläuche zum Gießen, Eimer, Öl für die Lampen, Salz für das Fleisch, Streichhölzer. Manchmal sind es riesige Mengen, dann beugen sich die Esel unter der Last der Fanta- und Bierdosen. Die steinigen Pfade klettern direkt auf den Himmel zu, bezwingen Pässe und verschwinden im Abgrund der Bjeshkët-Berge - das heißt, der "verfluchten" Berge. Diesen Sommer habe ich in der Gegend von Fierzë ein gutes Dutzend Hochzeitsgäste gesehen: Männer in Anzügen, Frauen mit hohen Absätzen, mit Frisuren frisch vom Friseur und in eleganten Kreationen - alle kletterten im Gänsemarsch einen halsbrecherischen Pfad hinauf, der in Serpentinen irgendwo hinter einen himmelhohen Bergrücken führte. Der Hochzeitszug sah aus wie aus einem surrealistischen Film oder einem schönen Traum.

Manchmal sieht man in der Ferne einsame Häuser. Sie erinnern an viereckige Steintürme, die geeignet sind, lange Belagerungen zu überstehen. Die Fenster sind schmal wie Schießscharten. Kein Wunder, denn vor gar nicht langer Zeit fragte man hier nicht nach der Anzahl der Hausbewohner, sondern nach der "Zahl der Gewehre", das heißt, nach der Zahl der unter einem Dach lebenden waffenfähigen Männer in einer aus mehreren Generationen bestehenden Familie. Die Anwesen sind einige Stunden Fußmarsch voneinander entfernt, und sie sind Selbstversorger: Sie haben ihre Schafherden, ihre Esel, ihre kleinen Maisfelder, ihre Pflaumengärten, um Alkohol zu destillieren, ihre Tabakbeete, ihren Vorrat an Brennholz und Heu für die Tiere. Im Grunde genommen stellen diese Höfe lauter Robinson-Crusoe-Varianten auf dem Festland dar. Die Einsamkeit der Bewohner multipliziert sich mit ihrer Zahl. Bisweilen sieht man an einem menschenleeren Ufer eine einzelne Gestalt. Der Mensch winkt, dann ändert die Fähre den Kurs, legt an und ein langes Brett wird heruntergeworfen. Der Mensch geht an Deck, die Passagiere fragen, wann er von zu Hause aufgebrochen sei. "Ich bin vor Morgengrauen losgegangen", antwortet der Ankömmling.

Und in dieser archaischen Region wird Elektrizität produziert, Energie für das ganze Land. Die Energie - Symbol des Fortschritts und der Neuzeit - entsteht da, wo die Menschen vollkommen in ihren Familien- und Klanstrukturen befangen sind und ihre Existenz durch mittelalterliches Gewohnheitsrecht geregelt wird, das wesentlich stärker ist als die staatlichen Gesetze. Von hier aus fließt der Strom in die Städte, nach Shkodër, Tirana und Durrës, um das Innere der Fabriken, Computer und Bankautomaten zu beleben. In der Wildnis stehen gigantische Strommasten. Sie sind schwarz und verrostet. Voriges Jahr hat jemand einige davon in die Luft gejagt. Meine albanischen Freunde konnten mir nicht sagen, wer das getan hatte und warum.

Jetzt fehlt es einfach an Wasser in den Seen und die Turbinen stehen untätig herum.

Der Norden war nie besonders gut angesehen. Für Zentral- und Südalbanien war er ein Herd der Anarchie, Gewalt, Wildheit und Rückständigkeit. Angeblich lebten dort Dämonen, da ging man nicht hin. Um dort hinzufahren, brauchte man einen triftigen Grund. Eher kamen von dort die halb mythischen Bergbewohner, die ohne Skrupel nach Macht, Geld und Einfluss in den zivilisierteren Teilen des Landes griffen. Und dorthin flohen sie, wenn ihnen der Boden unter den Füßen zu heiß wurde.

Und jetzt sitzt das zivilisierte und sich modernisierende Albanien in dunklen Kneipen und Klubs, sitzt vor toten Computern, hockt in unbeheizten eleganten Appartements, langweilt sich ohne seine Kasinos und hält nach Regen Ausschau, der im Norden fallen und die Seen randvoll füllen soll. Und es ist wie früher, wie zu Urzeiten, als die Menschen zum Himmel schauten, in Erwartung von Ernte oder Hunger.

Und auch ich und mein Verleger halten Ausschau nach Regen in den verfluchten Bergen.

Von Andrzej Stasiuk erschien zuletzt der Reisebericht "Unterwegs nach Babadag" (Suhrkamp, 2005).

© Aus dem Polnischen übersetzt von Renate Schmidgall. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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