Mysterium Marienhof:Immer schön spießig bleiben!

Lesezeit: 2 min

Zur Verfestigung des biederen Deutschen in einer exemplarischen Vorstadthölle: Die Serie "Marienhof" in der ARD wird 3000 Folgen alt. Ein Geburtstagsständchen in Bildern.

Julia Teichmann

Der Mittelstand geht in Serie: Die "Lindenstraße" machte als erste vor, dass Protagonisten für hohe Einschaltquoten nicht zwangsläufig reich und schön sein müssen - im Gegenteil. Mutter Beimer und ihr Umfeld im städtischen Mietshaus sind erschütternd durchschnittlich. Wenn der Mensch also Spießbürgertum fern-sehen will, warum soll man ihn dann nur am Tag des Herrn damit versorgen?

Gott sei dank also kam 1992 "Marienhof" in die Welt, Gott sei Dank lief die Serie ab 1995 als Daily Soap. "Marienhof" wird in München gedreht, spielt aber in Köln und sieht vorstädtisch aus. Genau umgekehrt ist es im übrigen bei "Lindenstraße": Die Serie wird in Köln gedreht, spielt aber in München.

Jeden Vorabend konnte man sich nun im Ersten Deutschen Fernsehen in die öffentlich-rechtlichste aller Soaps versenken, in die Welt der rechtschaffenen Blumenhändlerin Inge Busch mit mittelständisch gebremstem Lachen, in die Welt ihrer Kinder und Kindeskinder. Sie ist die Einzige, die von der Urbesetzung geblieben ist, hat schon Söhne sterben und Töchter verzweifeln sehen.

Nach dem schönen Serienprinzip können aber von überall her immer neue ursprünglich ungewollte Sprößlinge, Zwillinge, Drillinge und schwule Adoptivkinder auftauchen, auf diese Weise wird auch das Personal in einer zielgruppenkompatiblen Altersklasse gehalten.

Die Zielgruppe entspricht selbstredend den Verjüngungsbestrebungen der öffentlich-rechtlichen Sender: Bei den 14- bis 49-jährigen Zuschauern erreichte "Marienhof" seit dem Start der täglichen Ausstrahlung laut "Bavaria Film" einen Marktanteil von durchschnittlich 17,0%, bei den 14- bis 29-Jährigen waren es sogar 22,6%. Eine - allerdings von der privaten Konkurrenz ProSiebenSat1 durchgeführte - Untersuchung beziffert das Alter des durchschnittlichen Zuschauers gleichwohl auf 52 Jahre.

Charme zwischen Toiletten-Bauteilen

Für wen auch immer - in jedem Fall wird in "Marienhof" eine reaktionäre Idylle zementiert. Seit 2002 ist dem entsprechend eine Einkaufspassage Zentrum des Geschehens, dort findet sich zum Beispiel das Geschäft von Frank Töppers. Der Klempner versprüht zwischen Toiletten-Bauteilen Kölner Charme. Es gibt einen Billig-Discounter, ein Reisebüro, den Laden, in dem Inge Busch mit Hardcore-Optimismus Blumen und Dessous an den Mann bringt und ähnlich verlockende Niederlassungen.

Abends geht man in die Mutter aller Serien-Diskotheken: das "Foxy", oder etwas gesetzter auf ein Glas Wein zum gutbürgerlichen Quoten-Italiener in den "Wilden Mann." Deprimierend, aber wahr.

Ein Rätsel, warum Szenen vorstädtischer Enge, frustrierender als das eigene Leben, so gerne gesehen werden. Vielleicht zur seelischen Erbauung: "So schlecht geht es mir doch gar nicht," oder aus Schadenfreude: "Andere sind noch viel hässlicher als ich"?

Roman-"Durch Deutschland muss ein Ruck gehen"-Herzog, ehemaliger Bundespräsident und bekennender "Marienhof"-Fan, hat das mittelständisch beruhigende Potenzial der Serie womöglich erkannt - lange vor der Prekariats-Debatte.

Ein Ruck geht durch den "Marienhof"

In einer Folge spielte Herzog sogar eine kleine Rolle. Die Dialoge waren in diesen goldenen Zeiten häufig, wie im wirklichen Leben eben, der Warenwelt entlehnt - da liegt Schleichwerbung nahe. Ab Sommer 2005 wurden die Dialoge weltfremder, denn der Skandal um in der Serie versteckt platzierte Produkte und Themen war aufgeflogen.

Den höchsten Einzelbetrag für Schleichwerbung hatte, so geht es aus einem Prüfbericht der ARD hervor, mit 208.607 Euro der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) gezahlt. Im Gegenzug wurden in der Serie verschiedene Versicherungsfälle thematisiert.

Jetzt also parlieren Susi, Fechner und Co. nicht mehr gelöst über bröckelnden Putz und Schadensbegrenzung, das Reisebüro sieht nicht mehr aus wie ein bekannter Anbieter von Last-Minute-Reisen, die Medikation von Schilddrüsenleiden wird nicht mehr diskutiert.

Der Geschäftsführer der "Bavaria Film", Thilo Kleine, wurde entlassen. Aber das Leben im "Marienhof" geht weiter seinen gutbürgerlichen Trott, ob mit oder ohne Schleichwerbung. Schließlich hatte der schmissige Titelsong es schon lange angedroht: "Es wird viel passier'n!"

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: