Musikwettbewerb:Im Ozean der Gewissheit

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Die französische Altsaxofonistin Géraldine Laurent ist eine hinreißend elegante Gestalterin. (Foto: Steve Welles)

Der BMW Welt Jazz Award erweist sich als schwieriges Terrain

Von Ralf Dombrowski, München

Die Grenze der Spielbarkeit ist längst erreicht. Das war sie eigentlich schon bei den stilprägenden Persönlichkeiten des Saxofons, die im Unterschied zur Nachwelt den Vorteil hatten, sich noch nicht an Visionen anderer orientieren zu müssen. Als Charlie Parker den Bebop aus dem Geiste des Blues beschleunigte und innerhalb weniger Jahre eine Formensprache zementierte, die ihm bald selbst zu schaffen machte, war er der erste, der die Frechheit des Genialen institutionalisierte. Als John Coltrane versuchte, einerseits die Linearität des Ausdrucks, auf der anderen Seite die Diesseitigkeit der Intensität zu durchbrechen, hatte er nur wenig Konkurrenten, da niemand eine ähnliche Ausschließlichkeit der Hingabe an das Saxofon aufbringen wollte. Und Ornette Coleman wiederum konnte zertrümmern und mit metaharmonischem Interesse die Melodie wiederentdecken, weil das noch unerforschtes Terrain war. Nachdem nun das technische Können mit Fortschreiten von Pädagogik, Instrumentenbau und weltweiter Verfügbarkeit musikalischer Informationen kaum noch zur Debatte steht, können sich Musiker eigentlich nur noch entweder von der Historie abkoppeln und/oder sich in Nuancen von der Masse der Konkurrenz abheben.

Die ersten drei Konzerte des diesjährigen BMW-Welt-Jazz-Award-Wettbewerbs machen diese Aporien der Spielbarkeit sehr offensichtlich deutlich. Denn handwerklich gesehen sind Maciej Obara, Céline Bonacina und Géraldine Laurent Koryphäen ihrer Instrumente. Bei Fragen der Geläufigkeit, Eleganz der Phrasierung, Übersicht der Gestaltung, auch in punkto Geschmackssicherheit, Kommunikation innerhalb der Ensembles oder Tragfähigkeit der Arrangements und Kompositionen gibt es nichts zu meckern. Alles ist Qualitätsarbeit, alles souverän präsentiert, Profileistung eben auf dem Stand der Zeit. Aber es hinterlässt auch ein eigenartiges Gefühl der Leere, denn keiner wagt es, das sichere Terrain der Perfektion zu verlassen, sei es in Richtung unvorhersehbarer Emotion, formaler Disruption, klanglicher Öffnung oder gar ästhetischer Infragestellung der Ausdrucksmöglichkeiten.

Géraldine Laurent zum Beispiel, die am Sonntag auf der Bühne stand, ist eine hinreißend elegante Gestalterin, deren Wendungen mit der Zielstrebigkeit eines moderaten Stroms dahinfließen, dabei kleine Verwirbelungen und Stromschnellen in Kauf nehmen, am Ende jedoch in einen Ozean der Gewissheit münden, in dem sich mögliche Irritationen auflösen. Sie bezieht sich bewusst auf Vorbilder wie Parker oder Gigi Gryce, hat durchaus eigenwillige Ideen, deren Personalstile zu variieren, aber bei dieser Detailarbeit bleibt es dann auch, grandios eklektisch im Sinne der improvisierende Moderne. Céline Bonacina; Anfang Februar in München, fällt zwar in der Wahl ihres Hauptinstruments, des Baritonsaxofons, das sie eher leidlich quietschend durch Passagen am Sopran ergänzt, klanglich ein wenig aus dem Rahmen. Sie punktet auch durch die Wucht, mit der sie in die Musik einsteigt, bleibt dann aber auf dieser Stufe stehen und will ihr Quartett ähnlich wie ihre Kollegin Laurent nicht aus dem sicheren Hafen der melodisch fundierten, mit Expressivitätsspitzen garnierten Tradition hinausführen.

Der Pole Maciej Obara, der das erste Konzert spielte, wagt sich noch am weitesten vor. Charmant irritiert durch das Artifizielle der Wettbewerbssituation, ließ er sich bis weit in die zweite Hälfte seines Auftritts Zeit, um zumindest momenthaft den Zweck seines Spiels zu vergessen. Das sind die Augenblicke, wo Intensität aufblitzt, eine Bereitschaft des Künstlers, sein Publikum mehr als nur professionell an seinen Kämpfen mit dem Instrument, mit der Endlichkeit der Formensprache teilhaben zu lassen, aber auch mit der Möglichkeit der Öffnung, des Risikos, des Scheiterns zu konfrontieren. Am Ende des Konzerts wirkt er selbst überrascht, wie weit die Emotionalität ihn, sein Quartett und das Publikum getragen hat. Offenbar kann also das Saxofon weiter gehen als in bekanntes Terrain. Es ist heute nur ungleich schwerer als noch vor Jahrzehnten. Und es stellt den drei noch folgenden Musikern und Musikerinnen Matthieu Bordenave (24. Februar), Maria Faust (10. März) und Rudresh Mahanthappa (24. März) die gleichen drängenden Fragen. Die Antworten bleiben spannend.

© SZ vom 18.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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