Musik für heiße Tage:Jetzt werden andere Saiten aufgezogen!

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Im Sommer kommt der Süden hierher zu uns, mitsamt den unangenehmen Begleiterscheinungen: durchgeschwitzte Hemden, Straßenmusiker, Korruption. Hier sind zwölf Alternativ-Scheiben aus dem kühlen Norden für einen solchen Sommer.

Oliver Fuchs

Viele fahren ja jetzt in den Sommerurlaub. Gen Süden, wie man so sagt. Warum eigentlich? Im Sommer kommt doch der Süden hierher zu uns, mitsamt den unangenehmen Begleiterscheinungen: durchgeschwitzte Hemden, Straßenmusiker, Korruption. Im Juli brennt so manche Sicherung durch. So wie ja überhaupt der Hochsommer Laxheit und Lethargie fördert - nur so lässt sich erklären, dass es noch kein Aktionsbündnis gegen "Sarah & Marc in Love" gibt.

Richten wir also den Blick lieber sehnsuchtsvoll nach Norden, wo Kühle und Klarheit wohnen. Von Röyksopp gibt es, nachdem niemand mehr ernsthaft damit gerechnet hat, doch ein zweites Album. Es klingt sehr lässig, als würde eine Wanderdüne mal eben in die Disco reinmarschieren. Erwartungsdruck? Kennen Norweger offenbar nicht. Dass "The Understanding" (Labels/Emi) wieder europaweit ein Millionen-Seller wird, ist nicht anzunehmen. Zu erratisch, zu kapriziös, vielleicht auch einfach zu verdrogt.

Immer wieder Schweden

Dezidiert einen im Tee hat auch Dungen aus Schweden. Das Album "Ta Det Lugnt" (Subliminal Sounds/Broken Silence) verspult Kritiker derart, dass sie, wenn der Rausch nachlässt, meist irres Zeug wie "Acid-Folk-Jazz-Progrock" oder "beste Band von ganze Welt" (NME) zu Papier stottern. Sagen wir es so: Die seltsamste Musik, die man diesen Sommer hören wird. Mich haben manche Stellen an Ougenweide erinnert. Stotter.

Nochmal Schweden: Karl Larsson, Sänger von Last Days of April, hat ein feines Soloalbum vor- und hingelegt: "Pale as Milk" (Bad Taste Records). Da wird hübsch gesingersongwritet und der Sonne entgegen gesoftrockt. Unprätentiös, voller Empathie für Menschen, Blumen, Elche. Überhaupt scheint der Nordländer ein friedfertiger Charakter zu sein, wenn er nicht gerade Metal-Fan ist und Kirchen abfackelt, was sich auch am Werk der offensiv liebreizenden Ephemera zeigt. Die norwegischen Bangles, sagt man. Man hört es auch. Seltsam, dass künstliche, klebrige, korrupte Pop-Produkte aus Skandinavien nie so doof künstlich klingen wie englische oder amerikanische. Oder deutsche. "Monolove", das fünfte Ephemera-Album (Dustbowl Sounds/Edel) hätte ein Ökotest-Siegel verdient. Zum Biologisch-Dynamischen zieht es Björk schon seit längerem hin - Höhepunkt dieser Entwicklung ist "Drawing Restraint 9" (Universal). Kein vollwertiges Album, klar, "nur" der Soundtrack zu einer Matthew-Barney-Film-Arbeit. Trotzdem symptomatisch. Musik für Grün wählende Galeristen - nur echt mit grönländischem Nasenflügelpfeiferorchester.

Unsre alten Schweden wohnen in Hamburg. Was für eine Stadt! Nehmen wir nur Egoexpress mit ihren zärtlichen Disco-Grooves auf "Hot Wire My Heart" (Ladomat/Mute). Wie nett verhalten es hier kickt und kracht und rummst. House zum Mitdenken - muss ja deswegen nicht gleich verkopft sein. Oder "Schein an", das erste Album des früheren Go-Plus-Sängers Pit Przygodda (Sopot) mit zickigen, feingliedrigen Kompositionen, nur manchmal einen Tick zu götzalsmannhaft.

Ursprünglich Filmmusik, aber eigentlich zu schade, um gemeinsam mit den entsprechenden Indie-Filmen in Programmkino-Dunkelheit beziehungsweise Vergessenheit zu geraten. Mit großem Gewinn kann man auch das wiederveröffentlichte Debüt von Huah! aus dem Jahr 1990 hören, "Was machen Huah! jetzt?" (L'Age d'Or). Zwingender Northern Soul. Raffiniert naiv. Wie das jauchzt und lärmt und swingt! Lohnt sich allein wegen des Smash-Nicht-Hits "Ich möchte ein Mädchen kennenlernen" (stylecounceliger als Style Council) und der Zeile "Wozu brauch' ich die Welt, wenn ich dich nicht hab'?" Außerdem ist von "Deutschland-Quatsch" die Rede, worauf im Chor konstatiert wird: "Ich mach' nicht mit!". Hochaktuell.

Braucht die Welt Meta-Zoten

Was auf das CD-Reissue der bereits seinerzeit notorisch überschätzen Geisterfahrer nicht zutrifft: Hier wippt eher der Kurator des deutschen Pop-Museums mit der Zehenprothese. Noch ein Ausfall im Hamburg-Paket: "Trittschall im Kriechkeller", das Hörbuch des geschätzten Heinz Strunk (Trikont) ist über sehr weite Strecken sehr zwangsoriginell. Wirkt wie eine Witzecke in Spex, nachdem Spex von Praline aufgekauft wurde. Braucht die Welt wirklich Meta-Zoten?

Dutzend heißt: zwölf Stück. Also muss heute Nordamerika auch gelten, wurde ja schließlich von Wikingern entdeckt. Von dort gilt es zu vermelden, dass auch gute Menschen wieder gute Lieder haben, nachzuhören ab Montag auf dem Anti-Bush-Sampler Future Soundtrack for America (Barsuk Records/Indigo). Ein Fortschritt.

Geht Nordostlondon zur Not eventuell auch als Norden durch? Nein? Dann kann an dieser Stelle leider nicht auf die Platte von The Rakes (V2/Rough Trade) hingewiesen werden. Schade eigentlich. Die ist nämlich respektabel. Friedfertiger Punk-Rock. Nicht doof. Fast liebreizend. Sozusagen nordlichtern.The Rakes hätte ich hier gern lobend erwähnt. Aber geht leider nicht. Schnaps ist Schnaps.

© SZ vom 20.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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