Museen-Plünderung:Barbaren in Bagdad

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Ein Verbrechen für die gesamte Menschheit: In Bagdad wurde das Nationalmuseum geplündert.

IRA MAZZONI

Verzweiflung, Tränen, Wut. Das Bombardement hat das Nationalmuseum in Bagdad fast unbeschadet überstanden. Aber am Donnerstag drangen bewaffnete Plünderer in das Museum ein, zerschlugen Vitrinen, brachen die Schlösser der Tresorgewölbe und Magazine auf. Die Räuber rafften die Zeugnisse aus 7000 Jahren Zivilisationsgeschichte zusammen. Häuften sie auf Schubkarren oder steckten sie in die Hosentaschen.

Nach den Plünderungen: Teile einer Skulptur im größten archäologischen Museeum des Irak. (Foto: / SZ v. 14.04.2003)

Zwei Tage dauerte die Plünderung, danach bot sich den herbeigerufenen Kamerateams ein Bild der Verwüstung: Umgestürzte Statuen mit abgeschlagenen Köpfen, Glasscherben zu Hauf. Die stellvertretende Museumsdirektorin Midal Amin ist fassungslos: Das Erdölministerium hätten die Amerikaner vor Übergriffen beschützt - aber nicht das Nationalmuseum. Zwei Panzer im Hof, zur Abschreckung wäre das genug gewesen.

Die akute Gefährdung des immensen Kulturgutes hätte den Besatzern bekannt sein müssen. Schon nach dem Golfkrieg 1991 kam es zu Plünderungen von elf Provinzialmuseen. Rund 4000 Objekte gingen damals verloren. Doch nirgends in Bagdad kommen die Besatzer derzeit ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung nach, für Ordnung zu sorgen. So unglaublich es schon war, dass Krankenhäuser komplett ausgeraubt werden konnten, so niederschmetternd sind jetzt die Berichte über das offensichtlich komplett verwüstete Nationalmuseum. Ersten Schätzungen der Museumsangestellten zufolge wurden rund 170000 Kunstwerke entwendet: Assyrische Bronzeplastiken und Gebetsstatuetten, sumerischer Goldschmuck und eine 4000 Jahre alte Harfe aus solidem Edelmetall. Unklar ist noch, was aus den berühmten Tontafeln geworden ist, deren Keilschrifttexte zum Teil noch gar nicht entziffert werden konnten. Es handelt sich um die älteste Literatur, Geschichtsschreibung und Gesetzgebung der Menschheit. Was auch immer in den vergangenen Tagen in Bagdad im Nationalmuseum, das zu den wichtigsten der Welt gehört, geschehen ist: Die Plünderung bedeutet auf jeden Fall ein Desaster für die Kulturgeschichte.

Nicht nur das irakische Volk wurde um die schönsten und wichtigsten Teile seines reichen kulturellen Erbes gebracht sondern die Menschheit. Im Zweistromland wurde unsere städtische Zivilisation geboren, dort wurde das Rad erfunden und die Schrift. Wie wir uns das Paradies vorzustellen haben, wurde erstmals in Ur formuliert. Jetzt erleben wir, wie vor unseren Augen die Geschichte dieser Zivilisation zerstört wird. Und das, weil in diesem Krieg von Anfang an völkerrechtliche Verpflichtungen außer Kraft gesetzt oder grob vernachlässigt wurden.

Man stelle sich den Aufschrei vor, wenn 28 Säle des Louvre von einer randalierenden Menge zusammengehauen und ausgeraubt worden wären. Man stelle sich vor, die Nike von Samothrake sei zertrümmert. Das Nationalmuseum von Bagdad war eines der schönsten und bedeutendsten im Vorderen Orient. Erst vor drei Jahren war es wieder eröffnet worden, nachdem die Schäden des letzten Golfkrieges beseitigt und die Kunstwerke wieder in der Schausammlung aufgestellt worden waren. Dank einem Jahrhundert der internationalen archäologischen Grabungstätigkeit waren die Depots und Schatzkammern des Museums übervoll: ein zum Teil noch ungehobenes Archiv der Menschheit. Die Plünderung trifft so auch die Forschung.

Woher dieser Furor der Massen gegen die eigene Geschichte? Unter den Plünderern des Nationalmuseums in Bagdad waren nach Augenzeugenberichten Arme aus den Nachbarvierteln , die nach "Werten" gegriffen haben, um in den Besitz sicherer Tauschware zu kommen. Doch soll es auch Plünderer gegeben haben, die sich ausgekannt haben müssen: Sie haben gezielt zugegriffen. Offenbar mühelos konnten sie zu den Tresorkammern vordringen.

Was geschieht nun mit dem Beutegut? Manches landet wahrscheinlich irgendwo am Straßenrand, wenn es sich nicht zu Dollars machen lässt. Experten berichten aber, dass es schon länger reichlich Kleinkunst aus babylonischer Zeit auf den Kunstmärkten Europas und Amerikas gibt. Dieses Angebot wird vermutlich wachsen. Und die Chancen, die Objekte wiederzufinden, sind relativ gering. Nur die prominentesten Stücke dürften, sollten sie je zur Auktion kommen, sofort auffallen. Aber vor allem kleine Statuetten, Rollsiegel, Ringe werden mühelos über sämtlich Grenzen hinweg ihren Weg zu privaten Sammlern finden, die nicht nach Provenienz und Schicksal fragen und billigend in Kauf nehmen, dass sie sich mit schuldig machen an dem Kulturverbrechen.

Von den 4000 Objekten, die 1991 aus den irakischen Museen gestohlen wurden, fehlt jede Spur.

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