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Ludwig Abraham belebt die seltene Gattung der Funkoper

Von Anna Steinbauer, München

Wieso geht man ins Exil, wenn man Geld hat, und flüchtet, wenn man keins hat. Inwiefern bestimmen die Finanzen die Perspektive von Migrationsbewegungen? Wem ist die Atlantiküberquerung mit einer Boeing 767 nicht lieber als eine Reise im Schlepperboot auf dem Mittelmeer? Transatlantisches Feedback, so benennt der Komponist Ludwig Abraham das Thema seiner Funkoper "Rekord", die an diesem Dienstag in der Säulenhalle aufgeführt und im Radio übertragen wird. Sie basiert auf seiner popkulturellen Auseinandersetzung mit dem "Lindberghflug", einem experimentellen musikalischen Hörbild von Bertolt Brecht aus dem Jahre 1929. "Es geht vor allem auch um mein Privileg als weißer Mann, der sich in eine Boeing 767 setzen kann, weil er passend aussieht und einen guten Pass hat, so lange reisen kann, wie und wohin er will, und sich bei allen Kulturen bedienen kann", so Abraham über Faszination und Konsequenzen der ersten Ozeanüberquerung und seiner Beschäftigung damit.

Der Musiker ist selbst nach sieben Jahren in die Heimat zurückgekehrt, nachdem er Teil der Tanzkompanie "Neuer Tanz" unter VA Wölfl war und in Chicago "Rekord" entwickelte. "Es ist spannend zu sehen, was in München nicht und was hier viel leichter geht", sagt der 30-Jährige. Hier könne man mit Kunstprojekten leichter auffallen als anderswo und die finanzielle und technische Unterstützung der Stadt sei einzigartig. Abraham stammt aus Geretsried, studierte in Marburg Kunst-, Musik- und Medienwissenschaften und an der Folkwang-Schule in Essen Komposition. Er bezeichnet sich als Kind von Pop, Noise und postmodernem Punk und hatte mit 13 seine erste Band. Für die Funkoper hat er die Texte kompiliert und geschrieben, die Musik gemacht und Regie geführt.

Ursprünglich komponierten Kurt Weill und Paul Hindemith die Musik zu diesem später als "Ozeanflug" bekannt gewordenen Lehrstück fürs Radio. Abraham interessierte vor allem Aufbau und Setting dieser seltenen Gattung der Funkoper, die gleichzeitig Theaterstück und Studioatmosphäre bietet. Den Zuschauer erwartet eine Live-Radiosendung mit Musik- und Textzuspielern, Werbeblöcken und Moderation, dazu die vierköpfige Gruppe Mocrep aus Chicago als Studioband. Als thematischer Rahmen dienen in "Rekord" Biografien von Menschen, die sich mit dem Thema der transatlantischen Bewegung auseinandergesetzt haben wie Lion Feuchtwanger, der aus einem Arbeitslager vor den Nazis flüchtete oder der in Deutschland stationierte GI Gary Burger, Sänger und Gitarrist der legendären Punk-Vorläufer-Band The Monks .

Das besondere an der Funkoper sind die unterschiedlichen Rezeptionsebenen: Zu sehen gibt es neben der theatralen Performance Videoprojektionen der HFF-Stundeten Jovana Reisinger und Felix Herrmann, die Münchner Kulturleute die berühmten Persönlichkeiten spielen ließen. Man kann "Rekord" aber auch nur als Hörspiel hören. Gleichzeitig verhandelt die Funkoper ihre eigenen Produktionsbedingungen: Wie weit kann man performative Aktionen über das Radio vermitteln? Welche Konsequenzen haben ein offenes Mikrofon auf der Bühne? Wie gut kann man auf Sendung Vorgänge behaupten oder sogar lügen? Für den Regisseur liegt genau darin der Reiz, dass das Publikum nicht das gesamte Werk erfassen kann: "Man sieht live vor Ort, wie die Lüge entsteht. Oder die Wahrheit und Realität für denjenigen, der zuhört", so Abraham.

Funkoper: Rekord , Di., 26. Juli, 22 Uhr, Säulenhalle, Arnulfstr. 62, Live-Übertragung auf M 94.5

© SZ vom 26.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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