Monolog:Knorriger Knecht

Lesezeit: 2 min

Eine Paraderolle für Gerd Lohmeyer: der Knecht Wenzel. (Foto: Rolph Metzner)

Gerd Lohmeyers "Cherubim" am Metropol

Von Sabine Leucht, München

Gerd Lohmeyer kann den Schalk in seinen kleinen Augen schlafen legen. Aber wenn er ihn braucht, ist er gleich zur Stelle. Und darum ist Lohmeyer die Idealbesetzung für den Knecht Wenzel Heindl, dem Herbert Fritsch mit "Cherubim" ein Denkmal gesetzt hat. Selbst aufgewachsen auf einem Einödbauernhof in der Oberpfalz war Fritsch die schlichte Weisheit des von einem Jahrhundert der Kriege und dem Los des Lumpenproletariers geplagten Wenzel eine Lehre. Der reale Wenzel hat sich um den kleinen Fritsch gekümmert und ihm sein Leben erzählt. Der literarische Wenzel kam in Fritschs erstem Roman 1987 mit diesem so archaischen wie melodischen Kunstdialekt zur Welt, der fortan so etwas wie des Autors Visitenkarte wurde.

1989 wurde der Monolog am Nationaltheater Mannheim uraufgeführt, 2003 hat ihn Elmar Goerden am Staatsschauspiel mit Richard Beek inszeniert. Lohmeyer ist weniger bitter als Beek und vom Alter her dem künftigen Dasein "unter Cherubim", dem Himmelsboten, weniger nah. Und er hat eben diesen Schalk, der dem buckligen und gehbehinderten Wenzel dann aus den Augen blitzt, wenn er in seiner umfassenden Welterklärung das wenige prachtvolle und intime "Zeuch" verschweigt, das ihm begegnet ist - oder es in handfeste Bilder packt. Wie etwa als sein "Tauchsieder" in das "Wasser" einer jungen Frau eintauchte.

Wenzel ist ungebildet, findet die richtigen Begriffe fast nie, begreift aber doch. Auf seine Weise. Lohmeyer spielt fast 90 Minuten lang einen, den sein magisches Weltbild und die Distanz zu sich selbst davor schützen, an den "Fotzn" und "Arschprügeln", den "Hiltlers", wie er die Nazis nennt, oder dem selbst verschuldeten Tod des eigenen Kindes zu zerbrechen. Denn er sieht sich "zu Lebzeiten bereits in der Gewalt von der Ewigkeit."

Der "Cherubim", der nun in der Regie von Steffi Baier München-Premiere hatte, ist bereits 2012 bei den Luisenburg-Festspielen Wunsiedel entstanden, wo Baier und Lohmeyer in diesem Sommer Wenzels Geschichte weitererzählt haben. Für den Baum, der dort im Museumshof wächst, liegen jetzt drei knorrige Stämme im Metropoltheater, auf die schon jede Menge deformierende Kräfte eingewirkt haben. Weil der einzige Mensch auf der Bühne nicht sehr viel mehr Möglichkeiten hat, als um und zwischen ihnen herumzugehen und seinen Gehstock klackern zu lassen, gibt es im wesentlichen nur diesen Menschen zu sehen und den eigentümlichen, zwischen Oberpfälzisch und um Haltung ringendes Hochdeutsch mäandernden Idiolekt zu hören, mit dem Lohmeyer Fritschs Kunst-Sprache anwärmt. Das ist genug.

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: