Moderner Tanz:Der Tod tanzt mit

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Zwei aufregende Uraufführungen: Die Choreografen Jiří Bubeniček mit "Chapeau" und Jeroen Verbruggen mit "Where have all the flowers gone" am Nürnberger Staatsballett

Von Florian Welle

Zum zweiten Mal nach 2014 heißt es am Nürnberger Staatsballett "Made for us". Damals kreierten Douglas Lee und Cayetano Soto Stücke für das Haus. In diesem Jahr setzen vielversprechende Choreografen der jüngeren Generation die Reihe fort: Jiří Bubeniček, der einst mit seinem Zwillingsbruder Otto große Erfolge unter John Neumeier gefeiert hatte, ehe er dann bis 2015 Erster Solist in Dresden war. Und Jeroen Verbruggen, der lange als Erster Solist in Monte Carlo tanzte, um vor drei Jahren ins Regiefach zu wechseln.

Zu erleben sind zwei thematisch anspruchsvolle, tänzerisch fordernde, souverän Tradition und Moderne verbindende Choreografien. Bubeniček kreist mit "Chapeau" um die in unserer Leistungsgesellschaft so (be)drängende Frage, was jeder Einzelne vom Leben will. Gleichzeitig zieht das Stück den Hut vor dem Jazz - Standards mischen sich mit Musik des Pianisten Dave Brubeck. Die Compagnie trägt grauen Zwirn, Erinnerungen ans Jazz Age werden wach.

"Chapeau" kommt zunächst beswingt daher. Auf der Bühne steht eine Treppe, deren Längsseite mit CDs beklebt ist. Fällt Licht darauf, erstrahlt alles kunterbunt. Hüte liegen verstreut herum, jeder steht für ein Ziel, das man sich im Leben gesetzt hat. Ein Tänzer setzt sie sich alle gleichzeitig auf - und strauchelt. Dann wirbeln weitere herein, man probiert hastig die Kopfbedeckungen, bis schließlich die Leichtfüßigkeit einer nervösen Hippeligkeit gewichen ist. Zu viele Möglichkeiten bedeuten immer auch Überforderung. Ziele und Träume erweisen sich als Illusionen, sind mal unerreichbar, mal zerplatzen sie. Da hängen dann die Hüte von der Decke herab, Luftballons fliegen davon, die der "Traum", eine Tänzerin, deren Kopf man nicht sieht, mit sich führt. Ein wenig plakativ, trotzdem verfehlt es nicht seine poetische Wirkung.

Auch Verbruggen arbeitet mit starken Bildern - hier hängen rote Rosen von der Decke - und einer Symbolfigur: dem Tod. Ist aber wesentlich härter und unbequemer als Bubeniček, erwischt einen hinterrücks. "Where have all the flowers gone" hat den Terror in Brüssel vom März letzten Jahres zum Hintergrund. Die Choreografie versteht sich als Requiem auf die Jugend von heute, die (bald) nicht mehr so unbeschwert das Leben feiern kann, wie die vor 20 Jahren. Das war die Blütezeit des Techno, und so trägt auch das Ensemble, das hier meist als Gruppe auftritt und von dem sehr viel Athletik verlangt wird, knappe Höschen, durchsichtige Leiberl. Alles very colour shocking. Auf dem Kopf: weiße Helme, die Totenschädel symbolisieren. Feiern angesichts und im Angesicht des Todes. Der tanzt hier ganz in Weiß und oft auf Spitze, zunächst ziemlich traurig-allein, mit der Zeit als fester Bestandteil der Gruppe. Kulturhistorischer Verweis auf die Bildtradition des Totentanzes?

Neongrelle Clubatmosphäre, dazu, ziemlich irre, hört man erst Mahlers Neunte Symphonie, ehe sich in das gewaltige Abschiedswerk das Wummern der Bässe mischt. Dann fällt der Vorgang, geht wieder auf, und das titelgebende Lied erklingt in der Version von Marlene Dietrich. Alle lächeln zynisch, in fließenden Bewegungen scharwenzelt man von der Bühne. Übrig bleiben die Helme. "Where have all the flowers gone" - ein Tanzereignis!

Made for us II ; Mittwoch, 28., Freitag, 30. Juni, 19.30 Uhr, Staatstheater Nürnberg

© SZ vom 27.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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