Mobilität:Fliegen für alle

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Drohnen haben den Traum vom unbemannten Luftverkehr neu befeuert. Doch das Flugtaxi in den Häuserschluchten der Großstädte dürfte Fantasie bleiben.

Von Carlo Ratti

Wenige Geräte haben so viel Aufregung erzeugt wie die Drohne. Während das nichtmilitärische, unbemannte Luftfahrzeug zunächst als bloßes Freizeitspielzeug verkauft wurde, dauerte es nicht lange, bis Unternehmer und Industriegiganten dessen unendlichen Möglichkeiten begriffen. Bis 2020 sollen in den USA geschätzt sieben Millionen Exemplare pro Jahr verkauft werden, und vieles deutet auf eine Zukunft hin, in der Drohnen unser Leben in den Städten völlig neu gestalten - sie werden Waren ausliefern, den Luftverkehr überwachen oder etwas erledigen, was wir uns noch gar nicht vorstellen können.

Eine Einsatzmöglichkeit fesselt unsere kollektive Fantasie aber besonders: Die Vorstellung, dass Drohnen bald massenhaft Menschen über die Städte fliegen werden. Bevor wir gedanklich in die Flugkabine steigen, gilt es zu fragen, was es tatsächlich bedeuten würde, wenn der Himmel voll von Schwärmen aus Miniatur-Hubschraubern wäre.

Sicher wird man die Drohnen in Zukunft für wichtige Dinge einsetzen. Dass dazu auch das Menschen-durch-die-Städte-Fliegen gehört oder gehören sollte, glaube ich aber nicht. Der Traum vom unbemannten Luftverkehr ist nicht neu. Als Fritz Lang das futuristische Stadtbild für Metropolis 1927 kreierte, füllte er den Himmel mit schwindelerregenden Türmen und kompakten Kleinflugzeugen. In den frühen Sechzigerjahren produzierte das Hanna-Barbera-Animationsstudio die "Jetsons", eine Cartoon-Serie über die Eskapaden einer futuristischen amerikanischen Jedermanns-Familie. In den Anfangsszenen flitzt die Familie in einem schwebenden Auto rund um Orbit City. Als sie ihr Ziel erreicht haben, faltet es sich zur Aktentasche zusammen, und der Familienpatriarch nimmt es mit in sein Büro. 1982 zeigt der Science-Fiction-Blockbuster "Blade Runner" fliegende Polizeiautos.

Würden alle Bewohner New Yorks einen Drohnenflug buchen, der Lärm wäre ohrenbetäubend

Im Jahr 2017 erscheint diese fliegende, verlockende Traumwelt zum Greifen nah. Uber investiert in fliegende Autotechnik. Anfang dieses Jahres startete Airbus "Pop.Up", ein Start-und-Lande-Konzept-Fahrzeug für den Personenverkehr. Und das deutsche Start-up Volocopter verspricht mit dem 2X-Projekt das "Fliegen für alle". Dafür haben sie einen Miniatur-Hubschrauber mit 18 rotierenden Flügeln entwickelt, der noch dieses Jahr mit Testflügen in Dubai startet.

All diese Entwicklungen deuten darauf hin, dass Stadtbewohner schon sehr bald durch den städtischen Luftraum schwirren. Werden sie aber nicht. Denn trotz großer Investitionen und noch größerer Versprechungen gibt es physikalische und ganz praktische Gründe, warum es höchst unwahrscheinlich ist, dass der städtische Luftraum bald voller schwebender Menschen sein wird.

Betrachten wir zunächst die Physik. Jeder, der schon mal in der Nähe eines Hubschraubers gestanden hat, versteht, dass es eine Menge Energie braucht, um einen schweren Gegenstand vertikal in die Luft zu heben. Drohnen-Rotoren sind im Wesentlichen nichts anderes als große Ventilatoren, die die Luft nach unten drücken, um abzuheben. Um das zu erreichen, entsteht notwendigerweise jede Menge Lärm. Wer in New York City wohnt, kennt Lärm nur allzu gut. Beschwerden über einen der wichtigsten Hubschrauberlandeplätze am Hudson River führten zu strengen Auflagen für die Reiseveranstalter. Man kann sich vorstellen, was los wäre, würden alle acht Millionen Einwohner der Stadt nur einen einzigen Flug alle paar Wochen buchen: New York City wäre nicht länger lebenswert.

Ein anderer Faktor, der die Begeisterung dämpfen sollte, ist die Technik. Selbst mit drastisch verbesserten Batterien, die die Reichweite der Drohnen verlängerten, stellten die Flugzeugkolonnen eine gewaltige Sicherheitsgefahr dar. Auch moderne Autos sind nicht ungefährlich, aber nicht vergleichbar damit, wenn ein fliegendes Taxi etwa wegen einer leeren Batterie oder eines gebrochenen Rotorenblatts auf ein dicht besiedeltes Gebiet stürzt. Genauso wenig ist klar, ob Drohnen vor Hackern, Terroristen oder anderen Kriminellen zu schützen sind und wie sie von Flugsicherungssystemen sicher gelotst werden könnten.

Sicher ist nur, dass Drohnen weiterhin einen gravierenden Einfluss darauf haben werden, wie zukünftige Generationen leben, Geschäfte machen und interagieren. Sie haben sich bereits in verschiedenen Bereichen bewährt. Das fängt bei humanitären Hilfslieferungen an und endet bei Fragen der Sicherheit. Drohnen überschreiten geografische Grenzen, ohne dass sie dafür eine extra groß angelegte Infrastruktur bräuchten.

Wenn wir die digitalen Netzwerke verbessern, könnten autonome Fahrzeuge die Probleme lösen

Dadurch können sie isolierte Gemeinschaften wieder in Kontakt mit der Welt bringen. In Brasilien etwa setzt die Regierung mit Kameras bestückte Drohnen ein, um Landwirte zu kontrollieren. Sie befinden sich in weit abgelegenen Gebieten, stehen aber im Verdacht, Arbeitsgesetze zu verletzen. Auch zur Überwachung der Luftqualität oder bei Katastrophenfällen sind Drohnen heute längst eine große Hilfe.

Das Problem des Massenverkehrs in den Städten muss dagegen auf dem Boden gelöst werden. Wenn wir digitale Netzwerke und Echtzeitdaten verbessern, könnten autonome Autos, Lastwagen und Boote - wie etwa das Roboat - schnell und effektiv für alle unsere Bedürfnisse eingesetzt werden. Der ewige Traum von einer Gesellschaft, die in Privatflugzeugen über der Stadt kreist, mag bei den Investoren angekommen sein. Aber es ist eine Vision, die Fantasie bleiben wird.

Carlo Ratti ist Direktor am Senseable City Lab des Massachusetts Institute of Technology (MIT), und Gründer der Designfirma Carlo Ratti Associati. Er ist Co-Vorsitzender im Global Agenda Council des Weltwirtschaftsforums für Stadtmanagement. Aus dem Englischen von Ulrike Schuster.

© SZ vom 18.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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