Mittelalter-Rock:Hauptsache, der Hut ist voll

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Als die Band "Saltatio Mortis" noch auf der Straße und auf Weihnachtsmärkten spielte, ging es um die Existenz. Mittlerweile eilen sie von einem Chart-Erfolg zum nächsten

Von Christian Jooss-Bernau

Schlagzeuger Lasterbalk der Lästerliche hat mal BWL und später Psychologie studiert. BWL nicht unbedingt aus Überzeugung, sondern weil die Berufsberatung das empfahl. Immerhin kann er heute aus Erfahrung sagen: "Das wachstumsbasierte System kann nicht für immer funktionieren." Und er schreibt Lieder, die "Des Bänkers neue Kleider" heißen. Eigentlich heißt Lasterbalk Timo Gleichmann. Neben ihm auf dem Balkon der Promoterin sitzt bei diesem Interviewtermin der Sänger Alea der Bescheidene, der eigentlich Jörg Roth heißt. Aber das tut nichts zur Sache. Auf diesem Balkon haben sie keine bürgerlichen Namen, sondern sind Abgesandte einer Parallelwelt: Saltatio Mortis.

Ihre Band spielt Mittelalter-Rock. Bei vielen anderen Gruppen aus diesem Gewerbe ist der Verweis auf die Vergangenheit nur noch zartes Ornament in einem sonst unverdächtigen Rocken, bei Saltatio Mortis schalmeit und sackpfeift es noch deftig. So schaffen sie in ihren Liedern eingangs gerne Stimmung, bis geschieht, was geschehen muss: Schlagzeug und E-Gitarre beginnen zu ballern. "Zirkus Zeitgeist" heißt das aktuelle Album, von dessen Cover einem ein fieser Clown mit einer Halskrause aus Zeitungen und einem Mülleimerhütchen entgegenstarrt. Ganz heutig sieht das nicht aus, aber Zeitgeist ist relativ.

Was ihr Portfolio betrifft, sind sie breit aufgestellt. Neben der Bankenkrise hat man mit "Nachts weinen die Soldaten" auch was gegen den Krieg im Köcher - nebst gut abgehangenem Humor, der beispielsweise in der Klage besteht, dass Weihnachten in Supermärkten auch schon im Sommer beginnt. Das wirkt etwas willkürlich, aber Alea, der gerade von einem Aufenthalt in einem chinesischen Shaolin-Kloster zurück ist, erklärt einem sogar, was Buddhismus und "Zirkus Zeitgeist" verbindet: "Das ist eine Platte, die zur Achtsamkeit aufruft."

Thematisch geht da also noch Einiges: "Die Augen zu, die Lider fest geschlossen. Weiter so mit dummdreist festem Schritt", zitiert man knapp neben einer alten Nazikamelle her, und Lasterbalk auf dem Balkon fragt: "Was macht eine Regierung, wenn sie das Horst-Wessel-Lied verbietet? Sie macht die Augen zu. Es ist weg. Ist dadurch das Problem gelöst?" Auch "Maria durch ein Dornwald ging" haben sie als Zitat auf ihrer Platte: Von der göttlichen Empfängnis kommen Saltatio Mortis auf die ungewollte Empfängnis, machen den Komplex Verhütung und Abtreibung mal ganz keck an der Muttergottes fest. Klingt bösartig, ist aber gefühlig, weil Saltatio Mortis der Hang zum Pathos dazwischenkommt und ihre Maria sich im Dornwald erhängt. Manchmal sind die Gesten zu groß, um klar zu sein. Das kommt an: "Zeitgeist" ist das zweite Werk in Folge, das auf Platz eins der deutschen Album-Charts landete. Es sind nicht Verkaufszahlen, die für die Gruppe vorrangig interessant sind, es ist die Ausstrahlung, die von diesem Erfolg ausgeht, es sind die Journalisten, Veranstalter, Plattenfirmen, die jetzt mit ihnen sprechen.

Alea und Lasterbalk gehen auf die Vierzig zu und wirken nicht so, als könnte Erfolg ihnen noch Flausen in den Kopf setzen. "Jahrelang sind wir mit einem kleinen Bus auf die Märkte gefahren, haben unter der Bühne geschlafen und unsere Spielmannsmucke gespielt", sagt Lasterbalk. Seit 15 Jahren, erzählt Alea, verbringen sie im Sommer jedes Wochenende auf einem Mittelaltermarkt. Noch vor der Musik kam damals das Interesse für die Vergangenheit. "In der Urformation konnte keiner sein Instrument gerade spielen," sagt Alea. Heute gibt es auch gelernte Handwerker in der Gruppe. Ihre Musik aber, sagen die beiden, sei nicht das Ergebnis kalkulierter Soundplanung.

Um Neues zu erfinden, blieb ihnen, betrachtet man das Gründungsjahr, auch nicht soviel Spielraum. Denn Bands wie Subway to Sally, In Extremo und Corvus Corax gab es da schon. So haben sie, sagen sie, nicht nach rechts und links geschaut, sondern ihre Musik gemacht, wie sie sich ergab. Es gibt ganz andere Hürden, die so eine Mittelalter-Band zu überwinden hat. Das beginnt mit der geringen gesellschaftlichen Akzeptanz der Dudelsäcke. Als sie dereinst im Wald spielten, lief ein Förster mit Flinte auf und beschwerte sich über die Störung des Tierreichs. Im Reitstall einer Freundin bekamen die Pferde Durchfall. Schlechteste Idee allerdings war das alte Nato-Truppenübungsgelände bei Speyer. Das letzte was die Patrouille erwartete, die im Panzermanöver mit Sturmgewehren um die Ecke kam, waren Dudelsackspieler. Und die Band musste aus einem Panzermanöver geleitet werden.

Recht spät haben Saltatio Mortis überhaupt gemerkt, dass sie jetzt eine Band sind. Auf der Straße lernten sie den Kampf um Aufmerksamkeit und Geld. Letzteres war kein Zubrot, sondern existenziell. Um sich über den Winter zu bringen, spielten sie auf Weihnachtsmärkten, bis sie fortgejagt wurden. Selbst als die ersten Alben schon in den Charts auftauchten, ging das noch so: Soviel zum Ein- und Auskommen von Musikern. "Da ging es darum, dass der Hut voll ist", sagt Lasterbalk der Lästerliche.

Saltatio Mortis, Donnerstag, 3. Dezember, 20 Uhr, Backstage

© SZ vom 03.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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