Mit der Zeit verblasst die Erinnerung, es bleibt nur das Grellste, Bunteste, Überdrehteste. Daher gibt es bei den Neunzigerjahren ein Wahrnehmungsproblem. Denn wenn die Ü40-Generation in der Stadt ihre Jugend feiert, etwa donnerstags in der Milchbar bei "Der Sound der Neunziger" oder mittwochs im Gecko bei der "Euro 90s Party", dann regiert auf dem Dancefloor der "Trash", wie der Club 8 Below seine Nineties-Party "Hyper! Hyper!" mit selbstentlarvender Ironie untertitelt. Da quäkt dann also wie im Autoscooter Eurodance wie "Rythm Is A Dancer", "Dr. Vain", "Be My Lover", "Eins zwei Polizei" oder "More And More". Dabei wird vergessen, dass es doch auch die Backstreet Boys gab, die Spice Girls, Marusha, Technotronic, David Hasselhoff, DJ Bobo . . . stopp, es wird nicht besser!
Zur musikalischen Ehrenrettung des Jahrzehnts: Abgesehen von dem, was in den Discos lief, verliebten sich in dieser Ära auch viele in (und zu) Grunge ( Nirvana), Brit-rock ( Blur), Alternative Rock ( Red Hot Chilli Peppers), Hip-Hop (A Tribe called Quest), Riot-Girls ( Bikini Kill) und der Hamburger Schule ( Blumfeld). Am längsten auf Platz 1 hielt sich allerdings "Verdammt ich lieb' dich" von Mathias Reim in den Singlecharts (16 Wochen). Erst auf Rang 13 (10) der Hits der Neunziger kamen Snap! mit "Rhythm Is A Dancer" und noch weiter hinten Dr. Albans "It's My Life" (8). Die beiden jedenfalls führen eine "Mega 90er Party" in der Olympiahalle an, gefolgt von 2 Unlimited ("No Limit"), East 17 ("House of Love") und Haddaway ("What Is Love"). Oh, Baby don't hurt me! Deshalb: Rein in die klobigen Buffalos, den digitalen Sklaventreiber Tamagotchi reanimiert, einen bunten Baby-Schnuller in die Backe - schon um zu zeigen, dass Eurodance an den Neunzigern nicht das Schlechteste war. Am besten legt man sich noch eine alte Mix-Kassette in den Walkman und hört heimlich seinen Soundtrack der Neunziger, der ist eh der Beste.
Mega 90er Party , Fr., 27. Nov., 20 Uhr, Olympiahalle, ☎ 21 83 73 00