Missglückte Performance:Todessprung ins Planschbecken

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Kerry Skarbakka wollte die Sprünge der Verzweifelten aus dem brennenden World Trade Center nachstellen - ohne Rücksicht auf Gefühle.

Von Andrian Kreye

Letzte Woche hat sich der Brooklyner Performancekünstler Kerry Skarbakka mit Seilen gesichert vom Dach des fünfstöckigen Museum of Contemporary Art in Chicago gestürzt, um so die Todessprünge der Verzweifelten aus dem brennenden World Trade Center nachzustellen.

Kerry Skarbakka beim freiwilligen Stürzen. (Foto: Foto: AP)

"Ich fühlte mich dazu verpflichtet, als Künstler zu reagieren und wollte nachvollziehen, was diese Leute dazu bewegt hat", sagte er danach. "Ich wollte keine Gefühle verletzen."

Denn die Reaktionen aus New York waren pikiert bis zornig. Bürgermeister Bloomberg fand die Aktion ekelerregend und anstößig, die Mutter eines Opfers riet dem Künstler sogar, sich doch vom Empire State Building zu stürzen, um nachzuvollziehen, wie sich das anfühle.

Es ist also mal wieder an der Zeit, zu fragen, was die Kunst denn so darf. Das Kunstverständnis notorisch reaktionärer New Yorker Bürgermeister, reflexhaft empörter Opferfamilien und populistischer Revolverblättchen kann dabei sicherlich kein Maßstab sein.

Aber vielleicht wäre es angebracht, "Das gemalte Wort" aus dem Jahre 1975 hervorzukramen, Tom Wolfes höchst vergnügliche Philippika gegen die moderne Kunst. Gleich zu Beginn mokiert er sich darüber, dass die moderne Kunst längst zur Illustration ihrer Analysen verkommen sei - nicht das Werk, sondern die prätentiöse Auslegung dünkelhafter Klugschwätzer zähle.

Dem möchte man noch hinzusetzen, dass Kunst niemals feige und opportunistisch sein darf. Wenn sie zu etwas verpflichtet ist, dann sehr wohl dazu, Gefühle zu verletzen, aber nicht dadurch, das Grauen der Todesspringer auf einen mehrfach gesicherten Publicity-stunt von einem Gebäude zu reduzieren, das sich zum World Trade Center verhält wie ein Planschbecken zum Olympiaschwimmbecken.

Die Kunst darf den 11. September auslegen wie sie will. Der Bildhauer Eric Fischl, die Installationskünstlerin Sharon Paz und der Computerkünstler Brody Condon haben die Todesspringer schon künstlerisch verarbeitet. Ohne Rücksicht auf Gefühle.

Opportunismus hat uns aber nach dem 11. September neben den geostrategischen Kraftakten der Bush-Cheney-Liga und den Caudillo-Ambitionen der Herren Schily und Ashcroft schon genug Ärger beschert. Das kann die Verpflichtung nicht sein.

© SZ vom 17.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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