38. Midem in Cannes:Ein Pups am Ende der Wertschöpfungskette

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Brian Eno und Peter Gabriel haben eine für alle Kreativen offene Plattform ins Leben gerufen und ins Internet gestellt, die den künstlerischen Schaffensprozess abbilden soll. Damit soll vor allem Musik vom Ruch des glatt Abstrakten befreit werden.

RALF DOMBROWSKI

Wer braucht wen und warum? Auf der Musikmesse Midem in Cannes werden grundlegende Fragen gestellt. Für den Produzenten und Konzeptkünstler Brian Eno liegt die Sache auf der Hand: "Ich sehe mich als Gärtner. Da ist es kein Problem, wenn viel Müll produziert wird. Das ist nur der Humus für die Kreativität." Sein Denkpartner Peter Gabriel geht einen Schritt weiter: "Letztlich muss die eigene Musik besser als die frei erhältliche Konkurrenz sein. Der Filter ist entscheidend, er macht die Sache interessant." Ein Künstler sollte daher den eigenen Schaffensprozess soweit als möglich unter Kontrolle haben, damit auch die passenden Musikstücke beim Hörer landen.

(Foto: N/A)

Das klingt selbstverständlich und ist doch ungewohnt. Denn solche Überlegungen stellen die Gepflogenheiten der Produktion und Wahrnehmung von Musik auf den Kopf. Auf dem globalen digitalen Soundjahrmarkt wird der Künstler wieder zum Händler. Er verzichtet auf den ganzen Apparat, der sich im Laufe der Jahrzehnte zwischen dem ursprünglichen kreativen Akt und dem Konsumenten eingenistet hat: Verleger, Verwertungsgesellschaften, Plattenfirmen, Agenturen, Vertriebe und Händler. Denn durch das Einwirken dieser Wertschöpfungskette wird das Endprodukt derartig abstrakt, dass eine Identifikation mit dessen Inhalten kaum mehr möglich ist.

Dagegen muss etwas getan werden. Eno und Gabriel haben das erkannt und mit der Magnificent Union of Digital Downloading Artists eine für alle Kreativen offene Plattform ins Leben gerufen und ins Internet gestellt, die den künstlerischen Schaffensprozess im Netz abbilden soll. Gedacht ist an Skizzen von Stücken, Roh- und Arbeitsfassungen von Kompositionen, die im Austausch mit dem Publikum weiterentwickelt und differenziert honoriert werden können. Erfahrungen mit diesem Modell gibt es wenig. Die Bindung des Kunden an den Künstler jedoch ist groß. Und es ist eine konkrete Vision. Denn die Zukunft der Branche liegt im engen Kontakt zwischen Künstler und Konsument, sei es live durch Konzerte - ein Boombereich mit steigenden Zahlen -, sei es über personalisierte Klingeltonangebote für den Konsumfetisch Handy, sei es durch sorgfältig gepflegte Fanseiten, die kommunikative Nähe zum Star zulassen.

Das wiederum hören die Major Companies nicht gerne. In einer Zeit, wo jeder halbwegs technisch begabte Laie am Computer eine eigene Platte produzieren und über Internet weltweit vertreiben kann, laufen die Saurier der Branche Gefahr, überflüssig zu werden. Die großen Fünf sind daher an der Croisette nur marginal vertreten. Sie überlassen das Feld den Independents und Nischenanbietern, die sich mit der Detailarbeit am einzelnen Künstler abrackern, oder den Anwälten und Funktionären, die die Fehler der Vergangenheit korrigieren sollen. Das ist ein gewagtes Spiel - mit Pokerface und hohem Einsatz.

Die Streitfragen haben sich dabei kaum geändert. Es wird immer noch eifrig über Urheberrechte debattiert. Jeder will sein Stück am Umsatzkuchen vergrößern, je lautstarker, je weiter er vom eigentlichen Schaffensprozess entfernt ist. So kündigt der Interessenverband der phonographischen Industrie IFPI an, nach amerikanischem Vorbild in diesem Jahr die europäischen Tauschbörsennutzer mit Klagen zu überziehen. Man redet von elektronischen Wasserzeichen, die die Schwarzbrenner am heimischen Computer dingfest machen sollen. Etwas weniger martialisch gibt sich der deutsche Ableger einer europaweit koordinierten Initiative der Verleger und Verwerter zur Stärkung des Bewusstseins kultureller Leistung. Im Frühjahr startet eine Kampagne, die Lehrern und Schülern höherer Klassen den Wert von Kreativität klar machen soll.

Die längst überfällige Gründung des Exportbüros German Sounds wiederum könnte endlich im In- und Ausland gebündelte Lobbyarbeit für aktuelle Musik aus Deutschland möglich werden lassen. Mit kargem Budget ausgestattet und von nur wenig kulturpolitischer Unterstützung flankiert, wirkt die Initiative allerdings gegenüber den prominent besetzten Präsentationen von Marktneulingen wie Ungarn, Polen, Dänemark oder Japan von der eigenen Öffentlichkeit allein gelassen. Anstatt zu klotzen, wird gespart. Hauptsache, man tut etwas und kann die Verantwortung an eine neue Stelle abgeben. Den Kern des Problems trifft das nicht. Rund sechs Stunden zum Beispiel hört ein Jugendlicher pro Tag Musik. Geboten bekommt er in der Regel Austauschbares, Supersternchen nach dem albernen Warhol-Prinzip. Dabei gieren die Menschen nach Inhalten, Persönlichkeiten, Idolen. Wenn beim NRJ Award Madonna und Britney Spears gemeinsam auftreten, tobt der Saal. Oder wenn nebenan die Tangoklänge des Brüsseler Quintetts Soledad den alten Piazzolla mit neuer Frische in Erinnerung bringen, wird das mit Ovationen bedacht. Deutlicher kann man kaum zeigen, wo die Interessen liegen. Es wird Zeit, dass die konservative Musikindustrie dieses Bedürfnis als Chance erkennt und Schlüsse daraus zieht. Denn wenn sie es nicht schafft, sich über inhaltliche Qualität und Mehrwert unentbehrlich zu machen, wird

© SZ v. 29.01.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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