Microsofts Xbox:Vor dem Gerät sind alle gleich

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Die neue Xbox ist die alte, bloß mit gehobenem Wir-Gefühl: Weg vom verführten, unkommunikativ vor seiner Box ballernden Einzelspieler zum Selbstwert sozialer Interaktion.

Von Bernd Graff

Die Location: Juan les Pins an der Côte d'Azur, zwischen Nizza und Cannes gelegen; ein charmanter Ferienort. Draußen flirrt immer noch ungebrochen und spektakulär der Jahrhundertsommer 2003.

Der Sound: "Wooosch-deng", "Tschakka-Takka-Takk" und "Uiiii-tschummm", eine surreale Kakophonie aus vielen Konsolen. The Sound of Spielhölle, sehr laut und in Dolby Surround.

Der Content: In diesem Kongresszentrum werden die neuen Computerspiele für die Spielekonsole Xbox von Microsoft vorgestellt. Hier steht "Big Bang" schon auf jeder Toilettenschüssel. Der Konvent fiebert und deliriert in Tönen.

Gemach: "Big Bang" ist tatsächlich der Name einer französischen Firma, die Toilettenkeramik herstellt. Ein kuriose Namenswahl für derlei Produkte, sicherlich. Aber ein Zufall, dass dieser Urknall und das Knallen rund um die Uhr für kurze Zeit an einem Ort zusammentreffen.

Und man muss auch nicht gleich das Schlimmste fürchten: Der Lärm, aus dem die Spiele sind, rührt eben nicht nur von digitalem Säbelrasseln. Es wird zwar nicht wenig geballert, aber es wird nicht nur geballert. Es geht auch heiter, sportlich, ja mitunter tänzerisch ambitioniert zu: Dance Dance Revolution ist etwa ein Spiel betitelt, bei dem man einen bunten Kunststoff-Teppich vor der Konsole ausrollt, diesen an das Gerät anschließt und dann die Farb-Flächen vorgegeben bekommt, auf die man - womöglich im Takt - als nächstes hüpfen muss.

Das ist Steppen für Deppen, analog zum Malen nach Zahlen: Sehr amüsant - für den Beobachter. Das Spiel, auch das ist hübsch, wird übrigens "DDR für Xbox" abgekürzt. Vor dem Gerät sind eben alle Couch-Kartoffeln gleich.

Es ist nach wie vor erstaunlich: Zum dritten Mal hat die Firma Microsoft an die 1000 Journalisten aus ganz Europa an einen schönen Ort geflogen, um eine Party für ihren Spielecomputer Xbox steigen zu lassen.

Ein zweitägiges Gehör stürzendes Fest und doch ein logistisches Meisterstück. Transport, Verpflegung, Unterkunft, dazu ein minutiös ausgetüfteltes Programm aus Vorträgen und Präsentationen. Nur duschen muss man noch selbst. In diesem Jahr an den Gestaden des Mittelmeers. Doch diesmal leider ohne besonderen Anlass.

Konnte man bei dem X01 genannten Initialfest noch die Spielebox aus der Taufe heben, die bei der X02 um ihren Internetzugang und damit die Möglichkeit, global zu spielen, bereichert wurde, so war die diesjährige X03 eigentlich nur dem laufenden Betrieb gewidmet.

Neu ist allerdings die Losung - im Branchenjargon: der Claim -, unter dem die Xbox künftig segeln soll. Gab man den Spielern bislang "Play more!" mit auf den Weg, so lautet das Panier nun: "It's Good To Play Together."

Junge Kameraden

Doch kommt dieser Floskeltausch einem größeren Gesinnungswandel gleich, als man zunächst vermuten möchte - schon deshalb, weil man vom Imperativ zum Aussagesatz wechselt. So wird das Bild eines vielleicht verführten, unkommunikativ vor seiner Box ballernden Einzelspielers verwischt und stattdessen der Selbstwert der sozialen Interaktion des Spiels hervorgehoben - unabhängig davon, was da virtuell getrieben und angeblich gespielt wird.

Im Zentrum steht keine mitunter solipsistische Selbstbeschäftigung mehr, sondern das kuschelig-familiäre "Wir" einer kameradschaftlich agierenden Spielergemeinde. Ein strategischer Image-Shift, den die Xbox gewissermaßen stellvertretend für die gesamte Spiele-Industrie und alle Konsolenhersteller vollzieht.

Einige der erfolgreichsten und für die Branche entsprechend einträglichsten Spiele waren in der Vergangenheit Massaker-Animationen, in denen ordentlich Blut floss - mochte es auch mitunter grün gefärbt sein.

Das Spiele-"Line up" für den Winter 2003 bleibt denn auch sich und dem Genre treu und demgemäß ein wenig blutgetränkt: Zwei von drei der in Südfrankreich eigens ausgezeichneten neuen Titeln sind Schlachtspiele. Den so genannten "Technical Achievement Award" erhielt Tomonobu Itagaki für "Ninja Gaiden", ein Samurai-Metzelmassaker. Gregoire Gobbi wurde für "Rainbow Six 3", eine Art Anti-Terror-Truppenübungsplatz für Anfänger, mit dem "Innovation Award" ausgezeichnet.

Selbst Peter Molyneux, der für sein "Fable" den "Game of Show Award" erhielt, bewegt sich mit seinem Strategiespiel nicht in einer absolut blutfreien Zone.

Allerdings muss man auch festhalten, dass diese Spiele tatsächlich innovativ sind und grafisch fantastisch umgesetzt wurden - Blut hin oder her. Das gilt auch für das online-fähige Spiel "XIII" von Ubi Soft und Dargaud, einen anderen der so genannten First Person Shooter, der mit seiner comic-verwandten Cel-Shading-Visualisierung besticht.

Nun wissen aber gerade die Produzenten von Computerspielen, dass man auch mit einer bestechenden Umsetzung nicht über das hinwegtäuschen kann, was da umgesetzt wurde. Form dominiert nun mal nicht den Inhalt.

Seit dem 1. April des Jahres gilt etwa in Deutschland das neue Jugendschutzgesetz und das verlangt, dass jedes Computerspiel vor seiner Veröffentlichung ratifiziert und nach Altersstufen kategorisiert wird. Zwar läuft diese Einstufung über die "Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle" (USK) quasi freiwillig.

Doch sind deren Kennzeichnungen verpflichtend und ihre Altersfreigaben sind verbindlich. Ein nicht USK-gekennzeichnetes Spiel ist darum immer schon als "Über 18" eingestuft. Das gilt auch für ausverkaufte Spiele, die in einer neuen Edition wieder erscheinen sollen. Zudem wurden die Kompetenzen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) erweitert.

Die Stelle kann nun neben den herkömmlichen auch alle neuen Medien indizieren. Während die USK hauptsächlich die audiovisuelle Erscheinung eines Spieles beurteilt (Art und Umfang von Gewaltdarstellungen und Erotik), urteilt die Prüfstelle nach ethisch-pädagogischen Kriterien. So wurde etwa von der BPjM das Echtzeit-Strategiespiel "Command & Conquer - Generals" indiziert, obwohl die USK das Spiel für die Altersgruppe "ab 16 Jahren" eingestuft hatte und demnach keine Jugendgefährdung durch dieses Spiel feststellen konnte.

Ganz anders die Familienministerin Renate Schmidt. Sie konstatierte damals: "Kriegsverherrlichenden Computerspiele wie ,C&C: Generals', die den Einsatz von Massenvernichtungswaffen gegen wehrlose Menschen zum Ziel erhoben haben, sind grundsätzlich verabscheuungswürdig."

Tatsächlich ist eine irritierende Situation entstanden. Schmidts Ausführungen könnten mit ein wenig Interpretationswillen mit ähnlicher Vehemenz auch gegen aktuelle und künftige Top-Seller vorgebracht werden, die aber mittlerweile weder von der USK noch von der BPjM indiziert wurden. Was gilt denn nun?

Alte Sorgen

Auch mit diesem heiklen Thema setzte sich der Konvent auseinander. Allerdings in einer Podiumsdiskussion, die ausschließlich Spiele-Produzenten und -Vertreiber zusammenbrachte.

So war, wie auch nicht anders zu erwarten, eine einmütige Wehklage über den Indizierungsfall zu vernehmen. Denn die Konsequenzen einer Klassifikation "Ab 18" oder gar einer Indizierung haben für die Branche verheerende Folgen. Solche Spiele dürfen weder beworben noch öffentlich zum Verkauf angeboten werden.

Entsprechend sinken die Chancen am Markt - und damit die Möglichkeit, die oftmals Millionen Investitionen eines Titels wieder einzuspielen. Entscheidend, sagte Jens-Uwe Intat, Geschäftsführer der Electronic Arts GmbH, die das inkriminierte "Generals" herausbringen wollte, sei die Altersgruppe zwischen 16 und 18. "Wenn die außen vor bleiben muss, wird es sehr, sehr schwer, bestimmte Titel zu verkaufen."

Odile Limpach, Geschäftsführerin von Ubi Soft, verweist darauf, dass die Indizierung nur dafür sorge, dass die indizierten Titel als Raubkopien im Untergrund zirkulierten. Und Hans Stettmeier von Microsoft betont, dass auch mit dem Instrumentarium der BPjM keinesfalls verhindert werden könne, dass Titel an eine Klientel geraten, für die sie nicht bestimmt sind - dann nämlich, wenn Erwachsene verbotene Spiele an Kinder weiter reichen.

Doch verweist er darauf, dass nun wenigstens Rechtssicherheit in Deutschland bestünde. Eine Rechtssicherheit, die allerdings ein wenig arg geschmäcklerisch daher kommt.

© SZ vom 23.9.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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