Microsoft präsentiert sein neues Maut-System:"Drücken Sie niemals CTRL-ALT-Del gleichzeitig!"

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Auf einer gut vorbereiteten Presse-Konferenz in Berlin erläutert Microsoft vor Fachpublikum, wie das neue Maut-System funktionieren soll. Es verzichtet auf Satelliten. Spediteure können zwischen zwei Varianten des Systems wählen. Gravierende technische Probleme gibt es aber auch schon.

bgr

Das Konzept, das Steve Ballmer dem Kanzler vorstellte, weicht tatsächlich erheblich von allen bislang angedachten Toll-Collect-Vorschlägen ab.

Anmelden ja. Sonst niemals! Das neue MS-System "Longjohn" basiert auf einer abgespeckten NT-Variante. (Foto: Foto: Microsoft)

Branchenkenner sprechen bereits von einer "typischen" Microsoft-Lösung. Tatsächlich verbirgt sich im Kern des Software-Systems, das gerade auf einer wohl vorbereiteten Pressekonferenz in Berlin dem Fachpublikum präsentiert wurde, auch eine kräftig abgespeckte Windows-NT-Variante.

So verzichtet die Redmonder Umsetzung für die OBUs (On-Board-Units) in den LKWs völlig auf eine Satelliten-Anbindung zur Gewinnung der Rohdaten.

"Die künstlichen Trabanten", so Ballmer, der per Video-Live-Konferenz zugeschaltet war, bei einem Spin-Off-Presse-Meeting in New York unter lauten Beifall, "sollen die Bewegungen im All, aber nicht die auf unserer Erde erforschen! Wir haben doch alles, was wir brauchen hier unten: Erst in unseren grauen Zellen, dann in den PCs und jetzt auch in den Trucker-Boxen. So, und nur so!, haben wir Microsoft zu dem gemacht, was es heute ist."

Statt auf Satelliten setzt Microsoft auf das in Deutschland noch weitgehend ungewohnte UMTS. Das steht für "Universal Mobile Telecommunications System" - und dabei geht es nicht nur um einen bald in Deutschland eingeführten Standard für Telefonate über das Handy.

Es ist eine neue Art der mobilen Datenübertragung, die schneller, besser und bequemer sein soll.

Sie kann mit einer Vielfalt von Geräten höchst unterschiedliche Anwender erreichen. Unter anderem werden eben jetzt die Kilometer-Registrierboxen in den Lenkständen der Lastwagen damit ausgestattet werden.

Das von Microsoft nun in Berlin vorgestellte System wird in zwei unterschiedlich teuren Versionen ausgeliefert: 199,- Euro verlangt Redmond für eine bislang nicht näher definierte "Home"-Variante. Mit 499,- Euro schlägt die sogenannte "Professional"-Version zu Buche, die eine legale Implementierung in bis zu vier LKW-Führerhäuser lizensiert.

Verbraucherverbände mutmaßen in der seltsam diffus bleibenden "Home"-Variante denn auch schon ein künftiges Maut-Erfassungssystem, das womöglich bald schon verpflichtend für alle Privat-PKW zum Einsatz kommen könnte. Ein ADAC-Sprecher mutmaßt die "nächste Sondersteuer für Kraftfahrer".

Die Basis-Plattformen für das nun beschlossene MS-UMTS-System sind allerdings nicht festgelegt.

Ein nicht unwesentliches Detail: Darauf hatte Ballmer auch Schröder in der "Vier-Augen-Nacht" hingewiesen, dass die Microsoft-Lösung keine speziellen Boxen vorsieht, die eigens konstruiert werden müssen.

"Jeder PC, jedes Notebook, jeder MP3-Player, jeder PDA, jedes UMTS-Handy, jede X-Box (eine gängige Spiele-Konsole von Microsoft, d. Red.) ... ja jede intelligente Küchenmaschine kann zu diesem Zweck in die Führerhäuser verbaut werden. Vorausgesetzt: Darauf ist das "Switch-Verbose-New-Media-007"-Betriebssystem lauffähig installiert."

Die zweite Sondersteuer für PKW-Fahrer

Mit dem neuen SVNM007 ist jenes neuartige System von Microsoft bezeichnet, das in Entwicklerkreisen bereits seit Längerem unter dem Codenamen "Longjohn" kursierte. Es soll im im Verbund mit der zusätzlichen UMTS-Hardware - einer PCMCIA-Karte etwa oder einem Firewire-Transponder - für die rasche Erfassung und Übertragung der Kilometerdaten sorgen.

Demnach wird die Aufrüstung in den LKW-Lenkständen voraussichtlich aus folgenden Komponenten bestehen: Eine beliebige und vermutlich überall vorhandene Hardware-Plattform zur Aufnahme des neuen MS-Betriebssystems SVNM007, dieses Betriebssystem selber in der Home- oder Professional-Variante und ein UMTS-Adapter für die Systemplattform.

"Selbst bei kompletter Neuanschaffung dürfte diese Lösung in Deutschland summa summarum die psychologisch wichtige 4000,- Euro-Marke kaum überschreiten", so ein MS-Mitarbeiter aus dem engeren Kreis um Microssoft-CEO Steve Ballmer.

Die gerade mit der Bundesregierung getroffene Vereinbarung sieht außerdem vor, dass die bereits aufgestellten Maut-Brücken über den Autobahnen zu UMTS-Signalmasten umgerüstet werden.

Dabei fallen nach Aussage des Verkehrsministeriums kaum weitere Neukosten für den Steuerzahler an, da handelsübliche UMTS-Antennen, wie sie auch für die Betreibung der UMTS-Handynetze in deutschen Städten aufgestellt werden, eingesetzt werden können.

Demnach ließe sich aber theoretisch auch der Lastwagenverkehr außerhalb von Autobahnen, also auf Landstraßen und in Innenstädten, erfassen und kostenpflichtig verrechnen.

Vertreter internationaler Speditionsverbände laufen dagegen bereits Sturm: Da die von Microsoft als Soft- und Hardwareverbund vorgestellte Lösung eben jede LKW-Bewegung erfasse und keinen Unterschied mache, wo der Nutzwagen tatsächlich gerade fahre, fürchten die Betroffenen schon jetzt, für jeden Kilometer - egal wo und sogar noch außerhalb der Landesgrenzen - belangt zu werden.

Redmond wiegelte solche Befürchtungen auf Berliner Presse-Präsentation der MS-Lösung als unnötig und grundlos ab.

Man empfehle den Fahrern, die Lastwagen-Software gezielt, also selektiv einzusetzen und ihr Erfassungs-Equipment nur dann zu "booten", wenn es auf Fernstraßen gehe. - Und es entsprechend herunterzufahren, wenn man deutsche Autobahnen wieder verlasse.

Der Patch von der Tankstelle

Dabei sei das intelligente SVNM007 sogar behilflich: So frage eine (bei Neufahrzeugen sogar in die Windschutzscheibe eingespiegelte) Abfragemaske bei jedem Verlassen gebührenpflichtiger Straßen: "Diese Ausfahrt nehmen? OK. Nein. Abbrechen", die man dann per Touchscreen anwählen könne.

Microsoft warnte aber davor, die Software mit dem aus der Windowswelt bekannten "Kaltstart-Griff" auf die Tasten "Ctrl-Alt-Del" ganz außer Betrieb zu nehmen.

Auf die Frage, wie überhaupt gewährleistet sei, dass die Erfassungsgeräte auch tatsächlich bei der Benutzung deutscher Autobahnen "gebootet" und damit erst funktionstüchtig seien, da ja andernfalls keine Abrechnungsdaten vorlägen und so großflächigem Betrug "Tür und Maut-Tor" geöffnet seien, antwortete wieder der Sprecher des Verkehrsministeriums Felix Stenschke. Man setze diesbezüglich gegenwärtig noch ganz auf die Ehrlichkeit der Fahrer und LKW-Betreiber. Außerdem kündige man hiermit verstärkte Polizeikontrollen für Transporter über 2,5 Tonnen zulässigem Leergewicht an.

Tatsächliches technisch bedingtes Kopfzerbrechen bereite, so der MS-Sprecher dann, aber immer noch die Durchfahrt des Großraums Dortmund, die das Maut-System bislang nur mit einem aus dem PC-Bereich bekannten "Schweren Ausnahmefehler an Adresse Dort" quittiere.

Hier soll aber bald ein kostenlos bereitgestellter "Patch" für Abhilfe sorgen, den die Betroffenen an jeder Fernstraßen-Tankstelle auf ihr System downloaden können. Dieses Verfahren, so der Microsoft-Mann, werde sich sowieso bei allen LKW-Fahrer einbürgern und sei auch ganz bequem, da künftige Service-Packs und Updates für das SVNM007 ebenfalls an Tankstellen, Autobahnmeistereien, ausgesuchten Fachwerkstätten und Vertragspartnern zu beziehen seien. Letztere allerdings dann nicht mehr kostenfrei.

Ein ebenfalls reproduzierbares Problem stellt nach Microsoft-Angaben auch die Tatsache dar, dass die MS-betriebenen Fahrzeuge "eine Neigung entwickelten", bei Dauerfahrten auf der Autobahn einfach auszugehen.

Microsoft vermutet hier einen "*.dll-Konflikt in Abhängigkeit von der eingesetzten Systemsprachversion" innerhalb der europäischen Union.

Man empfiehlt vorerst den Einbau der zusätzlichen Warnlampe: "Genereller Auto-Fehler", die den Fahrer zwar nicht völlig, aber immerhin vor einem abruptem Stillstand auf offener Straße bewahre. Ansonsten verweist man auf die ersten Service-Packs, die schon in diesem Jahr eingespielt werden sollen.

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