Medien:Brötchen, aber keine Spiele

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Das olympische Wintertreffen war ein gigantischer Fernsehfilm. Ein Abschiedsbesuch bei ARD und ZDF in Turin.

Rebecca Casati

Noch ein Tag bleibt bis zum großen Finale der Olympischen Winterspiele 2006, das wahrscheinlich etwas weniger großartig ausfallen wird als vorher einmal gedacht. Irgendwo unterwegs auf einer der Autobahnen, die von Turin in die Bergdörfer führen, haben Besucher und Journalisten die Stimmung verloren.

Die Austragung dieser Wettkämpfe verteilte sich ja auf Turin selber sowie Sestriere und Pragelato im Gebirge. Die Hin- und Herfahrerei in überheizten Fiat-Shuttlebussen, begleitet von italienischer Radiomusik, dauert zwei Stunden und zermürbt jede Begeisterung, killt jedes Pathos.

Unten in Turin, im IBC, dem internationalen Pressezentrum, das im einstigen Fiatwerk Lingotto untergebracht wurde, sagt Werner Rabe: "Ich sag's ja." Es waren, wie er findet, keine olympischen Spiele. Es waren Fernsehspiele.

Aber das muss er natürlich finden, denn er hat keinen einzigen Wettkampf live erlebt. Rabe, blond, orangefarbiger Pullover, Breitcordhose und lautlose schwarze Gummisohlenschuhe, bewegt sich am Ende der zweiten Olympiawoche wie ferngesteuert durch das Stellwandlabyrinth aus Bürotüren und Gängen.

Er ist Sportchef des Bayerischen Rundfunks und Olympia-Teamchef der ARD. Er war schon bei fünfzehn Olympischen Spielen dabei. Diese in Turin rangieren in seinem Medaillenspiegel nicht weit vorne: von allen Winterspielen auf dem letzten Platz.

Auf Logistik und Umfang der öffentlich-rechtlichen Sender blickt Herr Rabe dagegen immer noch andächtig: Hier ist Technik, da die Regie, hier wird geschnitten, da moderiert. Hier steht normalerweise Gerhard Delling, dort wird die Nase von Frau Lierhaus noch einmal gepudert.

Er langt nach einem Leitz-Ordner, der säuberlich unterteilte und abgeheftete E-Mails hütet. Sie kommen von ARD-Zuschauern an eine eigens für Olympia eingerichtete Online-Adresse, und jede einzelne werde, sagt Rabe, von einer Zuschauerredaktion beantwortet, ausgewertet.

Es schreiben Menschen, die Waldemar Hartmann bewundern und andere, die ihn gerne erschießen würden und das gar nicht metaphorisch meinen. Es fragen andere Menschen, warum Frau Lierhaus mal im kurzen, dann wieder im längeren Rock moderiert. Und ob der Pelzbesatz an jener Strickjacke tatsächlich echt war. Andere wiederum schreiben, wie gut ihnen Harald Schmidt als lebende Spermie verkleidet gefallen habe.

ARD und ZDF teilen sich die Übertragung der Spiele. 19 Programmstunden gab es täglich. Gerade ist das ZDF dran, und trotzdem sind alle bei der ARD beschäftigt. Übermüdete Menschen traumwandeln vorbei, die Gesichter blass vom Neonlichtbaden, der Teint fahl von der Verpflegung: Kekse, knochenweiße Brötchen, Kaffee in Pappbechern. Im Ohr stets das Summen der Klimaanlagen und das laufende Programm. In der Hand den Ausdruck mit den Quoten von gestern.

Die Leute, die die Spiele sichtbar machen, sehen selber am wenigsten davon. Herr Rabe hat sich in diesem fensterlosen Alltag kleine heitere Tricks ausgedacht. Er nennt seine alternierenden Teams "Team Pizza" und "Team Pasta".

Mit den Leistungen seines Senders ist er sehr zufrieden. Anders als das ZDF habe die ARD auf bunte Tupfer gesetzt: "Wir haben die Wetterfee und einen Koch dabei, mal einen Eros Ramazotti im Interview." Waldi und Harry waren seine Lieblingskinder. Das Format war neu.

Es polarisierte. "Wir haben zweimal gegen Kerner gesendet, zweimal mit doppeltem Marktanteil." Bei Harald Schmidt gerät er ins Schwärmen: "Das pflegeleichteste Mitglied unserer Crew. Er hat sich weder über Essen, Trinken, Fahrdienst, sonstwas beschwert. Ein Supertyp, hochintellektuell." Ach so?

Es gab: Erkältungen

Nur ein paar Türen entfernt sitzt sein Kollege Dieter Gruschwitz. Wenn Rabe schwärmerisch erscheint, so wirkt Gruschwitz besonnen. Seine Stimme ist sanft und leise, vielleicht auch nur wegen einer Erkältung so runtergedimmt.

Gruschwitz ist Leiter der ZDF-Sportredaktion. Für ihn sind es die elften Spiele und die ersten Spiele ohne eigene emotionale Beteiligung. "Hier läuft alles geschäftsmäßig ab." Mit den Leistungen seiner Crew ist er sehr zufrieden: "Bei uns sollten der Sport und die Sportler im Vordergrund stehen, und das ist gelungen."

Gruschwitz hatte seinen Moderatoren und Kommentatoren gesagt, dass keiner sich selbst inszenieren, dass jeder sich als Teil der Spiele, nicht als Solist begreifen sollte. Was vielleicht erklärt, warum Michael Steinbrecher vielen dieses Mal so angenehm professionell auffiel.

Sonntagabend ist alles vorüber. Es wird keine ZDF-Abschlussparty geben, nicht nur, weil die ARD die letzten Stunden begleitet. "Wir sind alle zu verstreut aufgrund der unterschiedlichen Austragungsstätten", sagt Gruschwitz. Auch er hat keinen Wettkampf live erlebt.

Währenddessen, auf 2035 Metern in Sestriere, bereitet sich Johannes B.Kerner auf seine späte Tageszusammenfassung vor. Gesendet wird aus einem Raum im Deutschen Haus, jener Begegnungsstätte für Sportler, Sponsoren und Journalisten, die man nur mit biometrischer Akkreditierung betreten darf. Warum bloß? Kaum ein Mensch in Sicht.

"Gehen Sie mal raus", sagt Kerner, "schauen Sie sich um vor dem Deutschen Haus. Wie wird es denn sein bei den Paralympics? Die finden ja hier auch noch statt." Damit die Kulisse wenigstens für seine TV-Ausstrahlung besucht ist, wurden Zuschauer aus Turin hochgekarrt.

Eine Treppe tiefer, im Kufenstüberl, sollte sich in Begeisterung geredet werden. Doch die Konzentration ist nach zwei Wochen Sponsorenbonbonlutschen und Arbeiten auf engem, highlightlosem Raum nur einer gagahaften Kameradschaft gewichen.

Ein griechisches TV-Team hat auf der aussichtslosen Suche nach deutscher Sportprominenz die Kameras und Mikrofone weggelegt und sich auf die Eames-Sitzgruppe vor eine große Leinwand gehockt, auf der die Eishockey-Partie Schweiz gegen Schweden übertragen wird. Ein blondgeföhnter deutscher Journalist kommt dazu und hebt die Daumen. "You have a good place, you're looking Eishockey!" Ihr habt eine schöne Wohnung, und ihr seht nach Eishockey aus. Alle heben die Daumen.

Oben drüber ist Claudia Künzel, Sächsin, Skilangläuferin und Sportsoldatin, die gerade Silber gewonnen hat, Interviewgast bei Kerner. Der hat erfahren, dass Künzel den Dichter Rilke mag.

Doch es läuft nicht ganz so rund, rein philosophisch. Künzel tut sich schwer, den Begriff "Leben" zu definieren, und Kerner, der sie eigentlich im Laufe des Gesprächs auf die Themen "Philosophie und Poesie" lenken wollte, um sie zum Schluss als "Sportlerin, die weit über ihren Tellerrand hinausschaut" zu verabschieden, liest eine gar nicht poetische Abhandlung zum Thema "Gänsehaut" aus Künzels Webpage vor.

Auch Kerner hat noch keinen einzigen Wettkampf live gesehen. Er sagt: "Hier von der Stimmung: Self Service." Also konzentriert er sich auf seinen Job, was er wohl ohnehin am liebsten tut. Als vergangenen Samstag italienische Polizisten bei den österreichischen Biathleten und Langläufern eine Razzia durchführten, hat Kerner noch während des Aktuellen Sportstudios, das er präsentierte, darüber informiert - als Erster im ZDF.

Er ist dafür, aufzudecken, aber faire Relationen herzustellen: "Hier sind 2500 Sportler, es sind etwa 1200 Dopingproben entnommen worden, es gibt eine offizielle positive Probe. Und es gibt die beiden Österreicher. Über Beschiss wird geredet, aber wie geht man damit um, dass ein ganz kleiner Prozentsatz die gesamte Veranstaltung in Misskredit bringt?"

Zwei Seiten Doping in der Zeitung, zwei Seiten Olympia, das ist ihm zu viel. Was sollte stattdessen auf den zwei Doping-Seiten stehen? Das weiß Kerner auch nicht. Die erstaunlichste olympische Leistung 2006? Er kommt auf keine.

Montagmorgen wird ZDF-Sportboss Gruschwitz ins Auto steigen und zur nächsten Sportveranstaltung hetzen. Was bleibt von Turin? ARD-Mann Rabe will sich ein Olympiabuch kaufen und nachlesen, ob er was verpasst hat. Das, was Rabe und Gruschwitz vermutlich das Wichtigste war, hat der nordische Kombinierer und Überraschungssieger Georg Hettich aus Schonach gesagt: "Olympiasieger, ich dachte, das gibt's nur im Fernsehen."

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