McCartney tourt:Streben und erben lassen

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Die Deutschland-Tournee startete in Köln. Wohin die Reise geht, ist klar. Denn Paul McCartney holt die Leute mit der Routine eines Linienbusfahrers dort ab, wo sie seit 30 Jahren stehen.

HANS HOFF

Manchmal wird man in Waschanlagen von schlagfertigen Waschkartenverkäufern übertölpelt. Obwohl man nur die ganz normale Sonderangebotswäsche im Visier hatte, zahlt man plötzlich fürs ganz große Paket. Waschen, wachsen, polieren, föhnen, alles drin. Man wollte das nicht wirklich, aber schlecht sieht der Wagen hinterher auch nicht aus. Die Frage, ob man all das wirklich braucht, stellt sich dann nicht mehr, denn sie würde das Eingeständnis der Niederlage enthalten, dass man nämlich nicht in der Lage war, dem fixen Waschkartenverkäufer in der Eile argumentativ Paroli zu bieten. Außerdem gilt danach immer: Wer weiß, wofür es gut war.

Perfektion kann er, mit der Kreativität ist das offenbar so eine Sache. (Foto: / SZ v. 29.04.2003)

Ähnlich geht es, wenn man ein Paul-McCartney-Konzert besucht. Bevor man sich versieht, hat man 100 Euro für ein Ticket ziemlich weit vorne hingelegt und darf sich über zweieinhalb Stunden bedienen lassen von einer bestens geschmierten Beatles-Maschine, die zum Start der Deutschland- Tournee 18000 Zuschauer in der Köln-Arena so richtig in die Mangel nimmt und sie mit Wucht einmal quer durch die eigene Lebensgeschichte schleudert, Verjüngungskur inklusive.

Das zeigt sich besonders deutlich, wenn Paul McCartney sein Publikum beim Schlusschor von "Hey Jude" dirigiert. Da steht man dann und wiegt den Körper in ein seliges "Naaaa naa naa nanananaa". Tief drinnen fühlt man sich auf einmal, wie man sich fühlte, als man 1968 "Hey Jude" zum ersten Mal mitgesummt hat, als man noch was wollte vom Leben, weil man noch nicht alles hatte, als man eben jung war und Beatles-Fan. Doch dann sieht man sich selbst auf einer der Videowände, wie man da steht und summt und singt, und auf einmal stimmt das gefühlte Lebensalter nicht mehr überein mit dem optisch repräsentierten. Ein brutaler Moment der Selbsterkenntnis. Plötzlich sind alle so alt wie Paul McCartney, der 60- jährige Konzertkartenverkäufer mit dem roten T-Shirt und der Altmännerjeans, der allen eingeredet hat, dass sie sein Songangebot unbedingt in der XXL- Version brauchen, 24 Titel aus der Beatles-Phase, zwölf aus der Zeit danach, 150 Minuten, geschmackvolle Beleuchtung, ordentlicher Sound, alles drin.

McCartney hat einen Räucherstäbchen-Duft über die Halle verteilen lassen, hat phantasiereich ausstaffierte Gaukler und Artisten rausgeschickt, die im Vorprogramm eine Viertelstunde lang skurrile Stimmung verbreiten, wie auf einem mittelalterlichen Marktplatz oder in einem indischem Tempel. Das sieht schön aus, aber es interessiert niemanden wirklich. Alle warten auf Sir Paul. Endlich reckt er im Schattenriss auf der Videowand den berühmten Höfner- Violinen-Bass in die Höhe. Der Vorhang fällt, und los geht es mit "Hello Goodbye". Es folgen Lieder aus allen Phasen, die für sein vielfältiges Schaffen stehen, die leider aber auch traurig deutlich machen, dass Paul McCartney nach 1970 keinen wirklich bemerkenswerten Song mehr geschrieben hat, dass er sich nicht einmal mehr herantraut an seine Klassiker, die er alle haargenau so präsentiert, wie man sie kennt. Punktgenau und absolut zuverlässig liefert McCartney das global bewährte Produkt-Repertoire, McBeatle wünscht guten Appetit.

Im Internet kann man die Setlist der Europatour nachlesen, die kaum Variationen bietet. Man erfährt auch, dass die auf Deutsch vorgetragenen Ansagen genau das beinhalten, was sie schon in Spanien, Frankreich, England und den Niederlanden beinhalteten. Kommt etwa ein Muskelmann auf die Bühne und bringt das Piano für "Fool On The Hill", dann witzelt McCartney wie schon bei alle Stationen zuvor: "Er nimmt Anabolika". Und zur ersten von zwei Zugaben kommt er mit einer riesigen Fahne des jeweiligen Landes auf die Bühne zurück. Die Standardisierung des Programms ist wichtig für die weltweiteVermarktung, und die Unterschiede zum bereits auf CD und DVD veröffentlichten Material fallen allenfalls minimal aus.

Beim Konzert wird deutlich, dass McCartney es heute nicht mehr schafft, irgendetwas in seine Songs hinein zulegen. Er liefert perfekte Klanghülsen, die man bitteschön selber mit Gefühl füllen muss. Was man nicht reintut, ist dementsprechend auch nicht drin.

Dass Songs wie "Back In The USSR", "I Saw Her Standing There" und "Birthday" trotzdem Begeisterung hervorrufen, ist dem exzellent agierenden Begleitquartett, vor allem aber dem jungen Gitarristen Rusty Anderson zu verdanken. Der Amerikaner steht wie ein Schlacks neben McCartney und sieht mit seiner wuseligen Frisur ein bisschen so aus wie die Beatles in ihren frühen Tagen. Er scheint etwas von der Unbekümmertheit dieser Zeit in sich zu tragen, das zeigt sich, wenn er bei "The Long And Winding Road" den eingegeigten Kitsch durch neckische Kopfbewegungen konterkariert - so als wolle er klarmachen, dass dies ein Job ist, den er zwar gerne macht, bei dem er aber nicht unbedingt zu jeder klanglichen Verirrung stehen muss. Einen Hauch von spontanem Witz steuert auch Drummer Abe Laboriel Jr. bei, der seinen massigen Körper förmlich übers Schlagzeug wirft und auf seine Trommeln eindrischt, als hätten sie ihm etwas getan.

Paul McCartney wirkt dagegen reichlich statisch. Bei manchen Songs schaut er häufiger auf seinen textgebenden Teleprompter als ins Publikum. Man sieht, wie er hochkonzentriert arbeitet, wie er sich beflissen bemüht, dass dieses sein Produkt in Perfektion über den Bühnenrand geht. Perfektion kann er, mit der Kreativität ist das offenbar so eine Sache.

Nebenbei erledigt er Trauerarbeit, muss zweier Bandkollegen und seiner verstorbenen Frau gedenken. Linda McCartney bekommt die Wings-Oberschnulze "My Love" gewidmet, während für John Lennon der eher halbgare Würdingungsversuch "Here Today" bleibt. Am besten kommt noch der selige George Harrison weg, für den McCartney zur Ukulele greift und dessen "Something" so verulkt, wie der stille Beatle das wohl selbst gerne gehört hätte.

Ansonsten spricht Paul McCartney kaum über die Beatles, lieber über sich. Er ist inzwischen die perfekte Ich-AG, Besitzer der McCartney-Fertigungswerke, die Projektionsflächen für Emotionen aller Art herstellen. Am Ende steht er vor einer höflich jubelnden Menge, die er vorher nur zwei-, dreimal von den Sitzen hat reißen können, die sich nun aber erkenntlich zeigt für das volle Programm in der XXL-Version, Verjüngungskur inklusive.

Schließlich hat man bezahlt, und wer weiß, wofür es gut war.

Weitere Konzerte: 30. April Hannover, 8. Mai Oberhausen, 17. und 18. Mai München, 21. Mai Hamburg.

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