Marktorientiertes Fälschen:Finden Sie die zehn Unterschiede

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Gefälscht wird, was sich Zahnärzte und Steuerberater gern an die Wand hängen: In Münster zeigt das LKA zum ersten Mal gefälschte Graphiken bekannter Meister. Kritiker fürchten, dass die Ausstellung Tipps für Nachahmer gibt.

Stefan Koldehoff

Eine deutliche Unterschrift sei im Zweifel verdächtig, sagt Ernst Schöller, geht zu einem schmalen hölzernen Bilderrahmen und deutet auf eine Lithographie von Marc Chagall: "So übertrieben selbstbewusst hätte Chagall gerade seine Blätter zur Bibel niemals signiert, dazu hatte er viel zu viel Ehrfurcht vor seinem Sujet. Seine echten Bibel-Graphiken hat er deutlich dezenter unterschrieben."

Schöller ist weder Kunsthistoriker noch Graphologe oder Psychologe - jedenfalls nicht hauptberuflich. Der Mann mit dem gepflegten Vollbart arbeitet als Kriminalhauptkommissar im Dezernat 413 des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg in Stuttgart. Dort hat seit 1969 die kompetenteste deutsche Dienststelle ihren Sitz, die mit der Aufklärung von Kunstdelikten zu tun hat.

Was dabei im Laufe der Jahrzehnte in der Asservatenkammer landete, zeigt nun zum ersten Mal eine Ausstellung in Münster, die durch kluge Hängung und erhellende Begleittexte kunsthistorisch wie pädagogisch zu wirken vermag.

Mut

Mut gehörte auf beiden Seiten zu diesem ungewöhnlichen Projekt. Dass zwei seriöse Museen Fälschungen nicht nur zeigen, sondern mit ihnen regelrecht werben, könnte ihren Ruf mindestens im Kollegenkreis nachhaltig schädigen.

Und dass ein Landeskriminalamt nicht nur seine Trophäenschränke öffnet, sondern auch noch detailliert erklärt, wodurch die darin aufbewahrten Falsifikate aufgeflogen sind, könnte potentiellen Nachahmern wertvolle Anleitungen geben. In Münster geschieht zur Zeit beides.

Rund 200 Fälschungen hängen dort auf zwei Etagen in den Ausstellungsräumen: Gemälde von van Gogh und Magritte, Pastelle von Dix und Hölzel, Holzschnitte von Schmidt-Rottluff, Pechstein und Felixmüller. In eigenen Räumen wird das Brot-und-Butter-Geschäft des deutschen Kunsthandels zerpflückt: handsignierte Graphiken von Miró, Chagall und Dalí.

Es ist dieses Trio, das sich in seinen späten Lebensjahren nur noch selbst zitierte, um mit einer unsagbar redundanten Graphikproduktion die Marktnachfrage zu bedienen. "Fast die Hälfte dessen, was von ihnen in Galerien und Rahmengeschäften angeboten wird, ist gefälscht", erklärt Ernst Schöller. "Fälscher arbeiten ausschließlich marktorientiert."

Gefälscht wird, was sich Anwälte, Zahnärzte und Steuerberater gern an die Wand hängen. Nach der Herkunft wird nicht mehr gefragt, sobald der Preis nur günstig genug scheint. Für das dilettantisch gefälschte Van-Gogh-Gemälde etwa, das in Münster zu sehen ist, genügten dem rheinischen Käufer zwei absolut belanglose Pseudo-Gutachten völlig unbekannter angeblicher Experten.

Wer nun allerdings zu früh und zu laut vor Schadenfreude lacht, sollte erst die Münsteraner Ausstellung sehen, die gemeinsam mit der Städtischen Galerie Albstadt erarbeitet wurde. Die ausgestellten Werke - Originale wie Fälschungen - sind nicht bezeichnet. Neben den Rahmen kleben wie an einem Tatort nur Zahlen.

Was echt und was falsch ist, muss der Besucher selbst herausfinden, er kann es anschließend auf einem Begleitblatt überprüfen. Kluge Wandtexte erläutern, welche fotomechanischen Verfahren welche Spuren hinterlassen, welche Farben in der Kopie nie die Qualität des Originals erreichen und warum manchmal das Format des Papiers wichtiger ist als die Größe der Druckplatte.

Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die Graphiken von Pablo Picasso. Wer ihre Falsifikate allein vor sich liegen hat, vermag die Fehler kaum zu erkennen. Erst im direkten Vergleich mit dem originalen Blatt fällt auf, wo der Plattenrand den Fuß abschneidet, wo die Farbe neben den gezeichneten Blüten liegt oder wo eine Schraffur zum Farbbrei verläuft, weil der Fälscher keine Graphik sondern nur eine schlechte Reproduktion aus einem Buch als Vorlage zur Verfügung hatte.

Mehr als eine Milliarde Euro betrage der jährliche wirtschaftliche Schaden allein in Deutschland, weiß Schöller. Wie sehr das vorhandene Misstrauen den Markt inzwischen behindert, zeigt die heftige Reaktion des Bundesverbandes Deutscher Galerien und Editionen auf die Münsteraner Ausstellung.

Zorn

In einer zornigen Pressemitteilung bestritt der Kunsthändler-Verband die von der Polizei genannten Zahlen und stellte sich vor seine Mitglieder: "Galeristen und Editeure bürgen für die Echtheit der von ihnen zum Verkauf angebotenen Kunstwerke durch ihr Fachwissen sowie durch die Einhaltung eines Berufscodex, der die Verbreitung von Fälschungen strengstens untersagt." Als habe ein Gesetz oder eine Selbstverpflichtung jemals eine Straftat verhindert.

Im Strafgesetzbuch allerdings taucht Kunstfälschung bis heute gar nicht auf. Wen sie verurteilt sehen wollen, dem müssen die Stuttgarter Kunstpolizisten andere Delikte nachweisen - Betrug, Urkundenfälschung oder Verstöße gegen das Urheberrecht zum Beispiel.

Die Kunstabteilung im Bundeskriminalamt wird gerade auf ein Minimum zusammengespart. Abteilungen wie die in Stuttgart gibt es bundesweit nur in drei anderen Landeskriminalämtern. Wer beispielsweise in Nordrhein-Westfalen betroffen ist, wird an Beamte verwiesen, die sich gestern mit Kioskeinbrüchen und morgen mit Autodiebstahl zu beschäftigen haben.

"Die anderen Bundesländer haben deshalb kein Problem mit Kunstfälschung, weil sie keine Kunstabteilungen haben", beschreibt Ernst Schöller lakonisch die Lage. "Wir werden auch in Baden-Württemberg nicht ausschließlich geschätzt, weil erst durch uns die Kunstfälschung zu einem Problem wird, mit dem sich die Polizei beschäftigen muss. Was wir entdecken, kann nicht ignoriert werden."

"Wa(h)re Lügen" im Picasso-Graphikmuseum Münster, bis 13. Januar 2008, danach Städtische Galerie Albstadt. Der Katalog kostet 24,90 Euro.

© SZ vom 24.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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