Liederabend:Isolde an der Bar

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Zum Weiterträumen: Christoph Marthaler hat am Theater Basel einen neuen Abend erfunden - frei assoziiert um eine Wagner- Figur herum, die in Paris ein neues Leben angefangen hat. Nach der Oper, sozusagen.

Von Egbert Tholl

Der Zauber stellt sich ganz unmittelbar ein. Der Vorhang geht hoch, und man blickt in einen dieser Räume, die einem beim Theater von Christoph Marthaler auf heimelige Art vertraut sind. Diesen hat Duri Bischoff gestaltet, es ist eine Bar, vertäfelt mit dunklem Holz, die man sich so auch im leicht verwunschenen Hotel Waldhaus in Sils Maria vorstellen könnte. Links ein künstliches Feuer im Kamin, rechts ein Klavier und ein Humidor. Der Humidor wird später sprechen, recht unverständlich, denn: "Sprechende Humidore haben eine lange Tradition und eine feuchte Aussprache." In der Mitte der Bar steht ein kreisrunder Tresen, ein paar Sessel und auf dem Tresen ganz am Rand sieht man seltsame Gerätschaften für chemische Experimente. Ein Pianist kommt herein, der freundliche Bendix Dethleffsen, versucht, seine Notenblätter zu platzieren, etwas schusselig - ein langwieriger Vorgang, weil die Blätter nicht so ohne weiteres dort bleiben, wo sie hingehören.

Wagner kommt durchaus vor - aber nicht so, wie man es erwartet hatte

Christoph Marthaler hat am Theater Basel einen neuen Abend erfunden. "Isoldes Abendbrot" heißt er, was Erwartungen weckt. Vor allem jene, Marthaler werde sich an Wagners Werk abarbeiten, was er dann auch tut, aber nicht so, wie man sich das vielleicht vorgestellt hatte. Zum Abendbrot gibt es hier zwar sehr viel Musik; aber nur einmal ein Stück von Wagner, den "Liebestod", eben aus "Tristan und Isolde". Niemand singt ihn, nur drei Herren summen die Melodie, während Dethleffsen Klavier spielt und eine Dame hinterm Tresen unter Zuhilfenahme der Laborgerätschaften Cocktails mixt, die sich in der Folge als tödlich für die drei Herren herausstellen werden. Hier wirkt es, anders als in der Oper, in der Brangäne Todes- und Liebestrank vertauscht, nicht wie ein Versehen. Eher wie die Beseitigung lästiger Zeugen.

Darüber gibt eine Geschichte Aufschluss, die im Programmheft erzählt wird und deren musikalischen Widerhall man auf der Bühne erlebt: Eine Dame, Barbara, wendet sich an den Privatermittler Seul mit der Bitte, ihr zu einem neuen Leben zu verhelfen. Als neuen Namen wählt sie einen aus einer uralten Sage, also wohl Isolde. Seul verschafft ihr zu diesem Namen ein neues Leben, verschlüsselt die Angaben dazu aber in einer berühmten Schachpartei von 1935, der "Perle von Zandvoort". Beim Studium der Partie erkennt Barbara Seuls Plan, landet in Paris und übernimmt dort eine Bar, wo sie dann, und jetzt sind wir auf der Bühne, die Formeln der Schachzüge auf den Spiegel schreibt.

Hier dringt die rein nachzulesende Vorgeschichte ins Bühnengeschehen, ähnlich wie die Vorgeschichte beim "Tristan" in die Opernhandlung. Die eigentliche Handlung, deren Zeuge man in Basel nun wird, ist das Hereinbrechen dreier Herren in diese Bar, in Isoldes Refugium. Drei echte Marthaler-Figuren, vielleicht auf der Suche nach Barbara, vielleicht auch nur drei Gestrandete, wie man sie in allen Bars der Welt findet, wenn auch nicht ganz so verschroben wie in einer Marthaler-Bar. Es sind Raphael Clamer, Ueli Jäggi und Graham F. Valentine.

Was nun anhebt, ist vordergründig ein Liederabend, im Kern aber ist es das Weiterdenken einer Figur, die freiwillig in der Fremde lebt, die ihr altes Leben hinter sich gelassen hat. Es ist, als habe Isolde die "Tristan"-Oper überlebt, und arrangiere sich nun, erfüllt von Wehmut, Sehnsucht, aber auch vom Klang der sie nun neu umgebenden Welt, mit einem neuen Alltag. Konkret kann man da an die Barbara aus der Geschichte denken, aber Erkenntnis stellt sich auch ohne diesen fabulierenden Hintergrund ein. Die Dame hinter dem Tresen singt französische Chansons, die voller Schalk vom Leben in Paris künden, singt Lieder von Noël Coward, die mit Glamour einer Liebe nachhorchen - "Mad about the boy". Die Herren brummsummen dazu, ergehen sich auch mal in volksliedhaften Kanons, erzählen, wie Graham F. Valentine, schottische Schnurren, es gibt Beethoven und Bach, Schumann und Schubert.

Es ist so, als habe Isolde die "Tristan"-Oper überlebt und führe nun ein neues Leben in Paris

Weit ist der Assoziationsraum, keine Geschichte sollte ihn verengen, auch die von Barbara nicht. Aus Isoldes (Klang-)Welt wehen in schwerer, fauliger Süße und zarter Innerlichkeit Korngold und Mahler heran, und während die Herren als stumme Betrachter auf ihren Hockern und der Drehbühne im Kreis um die Bar fahren, fuhrwerkt im Zentrum Anne Sofie von Otter herum, wie schon zwei Mal bei Marthaler. In wechselnden Kostümen und Perücken ist sie mal große Dame, mal Serviermädel, stets umweht von einem alten Glanz. Vermutlich hat Otter, die Mezzosopranistin, die Isolde nie gesungen, sie singt sie ja auch hier nicht. Ihr Tun, und da wird es dann ganz privat, ist hier das eines Stars nach dem Ende seiner großer Zeit. Aber mit Stolz und ohne Weh. Und so überwindet Marthaler auch noch locker Wagners Inspirationsquelle, als der den "Tristan" schrieb, nämlich Schopenhauer und dessen Todessehnsucht, indem er dem Wahn der Welt die Kraft des Inneren gegenüberstellt. Damit feiert er zwar wie Schopenhauer die Macht der Musik, doch hier muss man nicht sterben, sich nicht im Rausch verlieren. Man kann einfach weiterträumen.

© SZ vom 19.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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