Lesung:Sie kamen nach Mariupol

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Münchner Schriftsteller berichten über eine denkwürdige Reise

Von Antje Weber, München

Bereits die Anreise war nicht gerade einfach: erst ein Flug über Wien ins ukrainische Dnipro, dann eine elfstündige Fahrt im Nachtzug nach Mariupol. "Die verdreckten/ Fenster lassen/ sich nicht öffnen/ wegen der Klimaanlage,/ die ist außer Funktion", hat Noemi Schneider darüber gedichtet. Und das klingt vergleichsweise harmlos, denn das Ziel Mariupol ist eine Stadt im Ausnahmezustand.

Etliche deutsche Schriftsteller reisten Anfang September in die Stadt am Asowschen Meer, um dort ukrainischen Kollegen zu begegnen, zu lesen, zu diskutieren. Organisiert hatte das bereits vierte deutsch-ukrainische Treffen "Eine Brücke aus Papier" die Münchner Kulturallmende-Veranstalterin und längst Osteuropa-Expertin Verena Nolte. Auch Münchner Autoren fuhren mit, und einige von ihnen berichten an diesem Montag nun bei einem Abend unter dem Titel "Nachtzug nach Mariupol" von ihren Erlebnissen: Noemi Schneider und Hans Pleschinski kommen ins Lyrik Kabinett; der ukrainische, in München lebende Autor und Künstler Alexander Milstein steuert Bilder bei, der Filmemacher Wanja Nolte einen halbstündigen Film vom Treffen; außerdem reist die Dichterin Anja Kampmann aus Leipzig an, sicher nicht im Nachtzug.

Was sie alle berichten werden, erhält durch die derzeitigen Ereignisse noch einmal neue Brisanz, denn seit die russische Marine in der vergangenen Woche vor der Halbinsel Krim ukrainische Schiffe beschossen und die Ukraine das Kriegsrecht verhängt hat, eskaliert der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine erneut. Mariupol hat dabei als Hafenstadt eine wichtige strategische Bedeutung. Die Stadt, die im 18. Jahrhundert mit starkem griechischem Einfluss entstand, ist heute vor allem von der Industrie geprägt, insbesondere von großen Stahlwerken. Sie zählt, wie man zum Beispiel auf der Projekt-Seite paperbridge.org nachlesen kann, eine halbe Million Einwohner - hat dazu aber auch noch 100 000 geflüchtete Menschen aus dem nahen Kriegsgebiet im Osten der Ukraine aufgenommen.

Beim Mariupol-Abend wird davon sicher die Rede sein, ergänzt von eigenen Eindrücken wie etwa einem Stahlwerksbesuch. Doch auch vom Austausch mit Kollegen wie Serhij Zhadan oder Sofia Andruchowytsch werden die Autoren erzählen; und natürlich werden auch Texte, die im Zuge dieser Reise entstanden sind, zu hören sein. Noemi Schneiders Fazit klingt so: "Im Meer soll man/ nicht baden./ Die Luft besser/ nicht einatmen./ Platanen rauschen/ im sauren Regen./ Die Vögel sind/ fort./ Im Stahlwerk/ fliegen Funken./ Was tun?/ Gedichte in den/ Sand spucken./ Und auf bessere/ Zeiten hoffen."

Nachtzug nach Mariupol , Montag, 3. Dezember, 20 Uhr, Lyrik Kabinett, Amalienstr. 83a, Eintritt frei

© SZ vom 03.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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