Lesung:Der Dichter liefert nicht

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In der Kammerspiel-Reihe "Jahrhundertbriefe" lesen die Schauspielerinnen Brigitte Hobmeier und Annette Paulmann aus der Korrespondenz zwischen Peter Rühmkorf und Marcel Reich-Ranicki

Von Antje Weber

Da hatten sich zwei gefunden. Zwei, die einander politisch fern waren, intellektuell aber sehr nah. Zwei, die einander immer wieder einer Freundschaft versicherten, die doch nie wirklich eine werden konnte. Auf der einen Seite: der geistreiche, irrlichternde Dichter Peter Rühmkorf, der selbstbewusst formulierte: "Habe eben den Schluß nochmal umgeschrieben, was bei meinen Bohrtiefen wieder einen ganzen Tag gedauert hat." Auf der anderen Seite: der nicht minder eloquente, gefürchtete Großkritiker Marcel Reich-Ranicki, der als Literaturchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung renommierte Schriftsteller ans Feuilleton binden wollte und Rühmkorf entsprechend umgarnte: "Was das Finanzielle betrifft: Sie können sicher sein, daß ich Sie so gut behandeln werde, wie Sie es verdienen - und ich meine das nicht etwa ironisch."

Der Briefwechsel zwischen Rühmkorf (1929-2008) und Reich-Ranicki (1920-2013), in diesem Frühjahr von Christoph Hilse und Stephan Opitz im Wallstein Verlag herausgegeben und allenthalben gelobt, ist eine vergnügliche Lektüre aus einer bereits sehr fern wirkenden Zeit. In der Kammerspiel-Reihe "Jahrhundertbriefe", von Rachel Salamander konzipiert, werden am 15. Dezember ausgerechnet die Schauspielerinnen Brigitte Hobmeier und Annette Paulmann die Rollen der beiden Männer übernehmen - und das könnte gerade in dieser Verfremdung gelingen. Material gibt es jedenfalls genug: Die beiden Intellektuellen arbeiteten sich schließlich von den Siebzigerjahren an über Jahrzehnte hinweg aneinander ab, und das vermutete Machtgefälle zwischen Auftraggeber und Auftragsschreiber wurde dabei immer wieder sehr schön umgedreht.

Marcel Reich-Ranicki umgarnte als Literaturchef der FAZ renommierte Schriftsteller, die er als Autoren gewinnen wollte. (Foto: Regina Schmeken)

Denn das Hauptproblem dieser Beziehung ist: Der Dichter liefert nicht. Er redet sich heraus. Er verweist auf die eine oder andere "Terminklemme", er grüßt "triefend vor Fleiß" und schickt: wieder nichts. Der sonst so mächtige Reich-Ranicki ist ratlos. Er mahnt, zunächst geduldig: "Machen Sie doch erst einmal die drei Sachen, die bei Ihnen liegen." Bald aber schon, im Juni 1975, stöhnt er: "Mein lieber Herr Rühmkorf, die Zusammenarbeit mit Ihnen ist qualvoll." Der Dichter darauf: "Lieber Herr Ranicki, halten Sie mich um Gotteswillen nicht für den, der ich Ihnen scheine! Ich schreibe ein Buch zu Ende, bin tief in Klosterzucht und Schweigegelübde eingesiegelt, kann aber bald wieder die Augen von der Schreibtischplatte gen Himmel heben, auch gen Süden richten, auch in den Ringelnatz senken - bitte noch ganz etwas Geduld! " Reich-Ranicki darauf, zähneknirschend: "Sie bestätigen das alte deutsche Vorurteil, daß ein Gespräch mit Lyrikern eigentlich gar nicht möglich ist."

Und so geht es über Jahre fort. Rühmkorf, "kasteit und kastriert", jammert: "Sie quälen mich immer so sehr mit Ihrer Termingeißel". Reich-Ranicki schickt Telegramme, Worte des Dankes und Lobes, der Sehnsucht und Mahnung. Und er verzweifelt, wie im Oktober 1978: "Wie lange noch sollen wir warten? Warum sind Sie so faul? Sie wünschten dringend Bücher des Poeten Gernhardt. Wir haben Ihnen im Januar drei Bände geschickt. Und was haben wir bekommen? Sie wünschten Thérame ,Die Taxifahrerin'. Vermutlich handelt es sich um irgendeine Sauerei, die Sie inzwischen schon genossen haben, ohne an Ihrem Genuß die Leser unserer Zeitung teilnehmen zu lassen."

Und so hätte es bis zum Ende weitergehen können zwischen Hamburg und Frankfurt, zwischen dem unverhohlen links denkenden Rühmkorf und dem Kritiker der damals erzkonservativen FAZ. Doch es kommt zum Bruch zwischen den unterschiedlichen Temperamenten: Rühmkorf kann Reich-Ranicki nicht verzeihen, wie harsch dieser 1995 Günter Grass' Roman "Ein weites Feld" verreißt. Der Kontakt bricht ab - bis es Rühmkorf 1999 nicht mehr aushält und um Versöhnung bittet.

Die beiden nehmen also ihre Arbeitsbeziehung wieder auf. "Wir wollen in Frieden und Freundschaft leben", hofft Reich-Ranicki, "und uns gegenseitig keinerlei Schwierigkeiten bereiten." Rühmkorf versichert, wieder ganz der Lyriker: "Wir wollen diesen zwischenzeitlichen Paukboden mal lieber in die Vergangen-/Vergessenheit absacken lassen und stattdessen durch verbindende Musenhaine wandeln." Und so wandeln sie weiter.

Jahrhundertbriefe: Marcel Reich-Ranicki und Peter Rühmkorf, Di., 15. Dez., 20 Uhr, Kammerspiele, Maximilianstr. 26-28

© SZ vom 14.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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