Leseverhalten:Ein Protest gegen das schöne Wetter

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In ihren Planungen gehen die Verlage davon aus, dass der April traditionellerweise ein Aprilwetter produziert - also Zeit zum Lesen. Doch diesmal spielt das Wetter da nicht mit. Die Buchhändler sind besorgt.

Michael Krüger

Über das Verhältnis von Wetter und Literatur ist nicht erst seit der Dissertation von F. C. Delius ("Der Held und sein Wetter", München 1971) immer wieder nachgedacht worden. Ein Autor, der auf sich hält, lässt die Höhepunkte seiner Tragödie nicht im linden Frühlingslicht sich ereignen, er braucht zur Illuminierung des Schreckens ein paar ordentliche Blitze und viel Donner; oder, damit die Ansicht nicht gleich deutlich wird, Regen.

Die Niederschlagsmenge in deutschen Romanen ist doppelt so hoch wie in der Natur. Scheint dagegen die liebe Sonne, ist meistens Gutes zu erwarten. Wer immer mit nassen Füßen dargestellt wird, ist als glücklicher Liebhaber nicht zu verwenden, wen dagegen ein leichter Frühlingswind beflügelt, der läuft auf ein gutes Ziel zu.

Der Augenschein ist deprimierend

Da das bürgerliche Leben bei einer Scheidungsrate von 50 Prozent kaum noch die große Tragödie kennt, kann der Autor leichter auf Murenabgänge oder katastrophale Überschwemmungen verzichten, um die Trennung von Held und Heldin einzuleiten. Und zur Darstellung der Geldübergabe von Bestechungsgeldern durch deutsche Manager braucht es ein vollklimatisiertes Büro, nicht aber ein veritables Wetterleuchten. Ein leichter, alles durchdringender Regen vor den Fenstern der Bankzentrale reicht aus.

Während also das Verhältnis von Literatur und Wetter philologisch einigermaßen gründlich aufgearbeitet ist, gibt es für den Zusammenhang von Wetter und Leseverhalten kaum brauchbare Untersuchungen. Hier ist man nach wie vor auf Augenschein angewiesen. Und dieser Augenschein ist deprimierend.

Die Verlage, auf Tradition eingeschworen, gehen nach wie vor davon aus, dass der April traditionellerweise ein Aprilwetter produziert, also mäßige Kälte, gelegentlich Schnee, viel Regen, selten Sonne, und das heißt: viel Lesezeit.

Also wurden zur Frühjahrsmesse wieder rund 20.000 Titel angeboten, und man darf vermuten, dass sich darunter auch wieder zwei- bis dreitausend lesbare Bücher befinden. Wenn man in der Vergangenheit damit kalkulierte, dass ein einigermaßen zivilisierter Deutscher im April täglich (wochentags) ein Buch kaufte, um das schlechte Wetter durch abendliche Lektüre zu kompensieren, muss man bei den gegenwärtigen Wetterverhältnissen befürchten, dass der ehemals bildungskundige und lesewütige Deutsche vom 1. April an direkt in den Garten geht und nicht in die Buchhandlung.

Ob die Änderung des Wetters unmittelbar mit der Großen Koalition in Verbindung zu setzen ist, bedarf der Klärung. Auf jeden Fall hat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels mit ausdrücklichem Verweis auf das Jahr der Geisteswissenschaften - das sich im Buchhandel bislang nicht niedergeschlagen hat - vorsorglich gegen das gute Wetter protestiert.

Der Autor ist Schriftsteller und Leiter des Hanser Verlages.

© SZ vom 18.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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