Leni Riefenstahl:Das Vermächtnis der Kriegerin

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Die Kunst und die Natur, die Partei und das Leben: Im Alter von 101 Jahren ist Leni Riefenstahl gestorben.

Von Fritz Göttler

(SZ vom 10.9.2003) - Sie hat schon ziemlich klare Vorstellungen gehabt, wie das Paradies sein müsste. "Die Zeit, die ich mit den Nuba im Sudan verbrachte", so hat sie vor wenigen Jahren im Gespräch mit dem Filmhistoriker Kevin Brownlow erzählt, "gehört zu den glücklichsten, den schönsten meines Lebens. Es war einfach wundervoll. Sie waren immer fröhlich, lachten den ganzen Tag, gute Menschen, die nie etwas gestohlen haben. Sie waren glücklich über alles, zufrieden mit allem. Und sie hatten keine Todesstrafe oder solche Sachen. Die Strafen waren wirklich harmlos, und das größte Verbrechen war, eine Ziege zu stehlen ..."

Die Verbrechen, die man Leni Riefenstahl vorwarf nach 1945, waren sehr viel größer als die der Nuba, und die Bestrafung, die sie mehr als ein halbes Jahrhundert lang erleben sollte, war hart und unnachsichtig - eine strenge ideologiekritische Diskussion um ihre Filme "Triumph des Willens" und "Olympia" und um die Rolle, die sie im Dritten Reich gespielt hatten.

Man mochte an das Schicksal des Tantalos denken angesichts dieser endlosen Prozeduren: Immer wenn die Diskussion mal wieder abzuebben schien, wenn gar ein Schweigen sich abzeichnete, wurde durch Artikel, Filme, Anklagen, Prozesse die Debatte erneut entfacht und in Hitze gebracht.

Ein immergleiches Ritual um Schuld und Sühne, in dem schließlich weder die Ankläger noch die Beschuldigte eine gute Figur mehr machen konnten und die Frage der Moral dem Ansturm der Floskeln nicht mehr standhielt. Man muss sich fragen, ob in diesem Prozess - im wahrsten Sinne des Wortes - nun, nach ihrem Tod, ein Schlusswort möglich ist und wie es ausfallen mag.

Das Geheimnis der Zigeunerin

Die Filme waren ideologisch grauenhaft, aber phantastisch gemacht, beeindruckend. So lautete das Urteil vom Kollegen Luis Buñuel. In den Dreißigern hat er im amerikanischen Exil für die Filmabteilung des MoMA in New York eine Kurzfassung von Riefenstahls Reichsparteitagsfilm gemacht - er war der richtige Mann für den Job, einer, der sich mit faschistischen Regimes auskannte und der bereits intensiv reflektiert hatte über die Verführungskraft der Kinobilder.

Phantastisch gemacht, man muss das vielleicht nicht bloß als Qualitätsurteil nehmen - Riefenstahls Filme sind phantastisch in ihrer Genrezugehörigkeit. Sie war zeitlebens von Märchen, Mythen, Legenden fasziniert und hat die Politfilme eben im Dienst der Nazis gemacht - um den Einstieg zu schaffen ins Filmbusiness, um ihre Produktionsfirma stark zu machen, aber auch zur film-ästhetischen Ertüchtigung: Nur in Hollywood können bis heute Regisseure so aus dem Vollen schöpfen wie sie das tat, als sie das Nürnberger Reichsparteitagsgelände in eine riesige Film-location verwandelte, oder als sie den Olympia-Film 1936 generalstabsmäßig durchorganisierte.

"Das Blaue Licht" heißt ihr erster Spielfilm, über ein rätselhaftes, verhuschtes Zigeunermädchen, von ihr selbst gespielt, das sich in einen Maler aus der Stadt verliebt. Ihre eigentliche Liebe aber gilt den Bergen, wo es auf dem Gipfel eine Höhle gibt mit einem unermesslichen Schatz.

Riefenstahl hat den Film zusammen mit Béla Balász geschrieben, einem der großen linken Filmkritiker und -theoretiker der damaligen Zeit - später hat sie sich dann in infamer, denunziatorischer Weise von ihm abgesetzt, hat in einem Brief Julius Streicher Vollmacht erteilt "in Sachen der Forderung des Juden Béla Balázs an mich".

Schaler Beigeschmack der Naivität

Das ist Charakterschwäche, sicherlich; sie hat auf alle immer wieder vorgebrachten kritischen Punkte nie konkret geantwortet, und ihre Reaktionen sind, je älter sie wurde, chaotisch, grotesk, absurd geworden. Das sind die Momente, da ihre Naivität einen schalen Beigeschmack bekommt. Jene Naivität, die im Kino dennoch phantastische Sachen zustande bringen konnte. In der Welt überwiegt heute die Anerkennung für die Filmemacherin - die New York Times hat ihr sofort einen spektakulären Nachruf gewidmet, mit divenhaftem Farbbild.

99 Prozent von dem, was über mich publiziert wurde, ist falsch, hat sie immer wieder gesagt. Die Legende Leni sollte der Kokon fürs Überleben werden, nachdem der Schutzschild der professionellen Arbeit nicht mehr zur Verfügung stand. "Tiefland" war in den Fünfzigern der letzte Spielfilm, noch mal die Geschichte einer Zigeunerin, der Verfolgung durch die Vertreter einer rigiden Männergesellschaft, aber in seiner Gestaltung schon völlig aus der Zeit gefallen. Auch Riefenstahl zog sich schließlich aus der historischen Zeit - und ihrer Verantwortung - zurück, in die Welt der Nuba, in die Unterwasserwelt.

Die intellektuelle Argumentation versagt in diesem Fall - es ist, nicht nur in diesem Lande, schwierig, über die Zusammenhänge von Politik und Massenkunst zu reflektieren. Am Ende blieben nur die Formeln der Strafverfolgung, mit denen Riefenstahl bis zum Ende immer konfrontiert wurde: Sie hatte für "Tiefland" Zigeuner aus einem KZ verpflichtet, diese Tatsache aber stets beharrlich abgestritten.

Grandiose Phantasien

Das Paradies bekommt man natürlich nicht geschenkt, und man kann nie sicher sein, dass man es guten Gewissens genießen darf. Nicht das Einfache, das "Natürliche" hat Riefenstahl gelockt in der Natur, sondern jene Momente, da die Natur zu flirren begann, da sie verwirrend, doppelsinnig, impressionistisch wurde.

Den Reichstagsfilmen und ihren simplen Männerbünden stehen Projekte gegenüber wie ein geplanter Film über Friedrich und Voltaire - beide sollten von ihrem Verehrer Jean Cocteau gespielt werden - oder die Penthesilea, ein Geschenk von Hitler, aus Dank für die Reichstagsdienste.

Sie hat Hunderte von Mädchen für das Amazonenheer versammelt und trainiert, das Reiten ohne Sattel! Tausend weiße Araberhengste stellte ihr der Marschall Balbo, der italienische Gouverneur von Libyen, zur Verfügung. In welchem Zusammenhang mögen diese grandiosen Phantasien stehen zu den Alexander-Projekten, die heute amerikanische Regisseure vorbereiten?

Der Krieg hat das Penthesilea-Projekt verhindert - und die Bedeutung der Filmemacherin Riefenstahl auf Null gebracht. Sie war nicht fähig, auf die grausame Realität zu reagieren. Sie hat sich in eine Scheinwelt zurückgezogen, eine Welt des schönen Scheins, was letzten Endes auch Erstarrung bedeutete, von den vielfach bewegten zu den Momentaufnahmen, vom Kino zur Photographie. In einer ganz anderen Welt, unter Wasser, hat sie noch mal zu filmen begonnen.

Hartnäckigkeit war die letzte Tugend, die ihr blieb, ein Durchhalten aus Prinzip - so waren auch ihre Werke ästhetische Durchhaltefilme. Hartnäckig huldigte sie der absoluten Schönheit, die sie um keinen Preis zusammenbringen wollte mit der Politik. In diesem Triumph ihres Willens kam sie dem Führer verteufelt nahe. "Wir haben uns sehr lange nicht gesehen", berichtet sie von einem Gespräch, das er mit ihr führte, 1933, "wenn ich mich recht erinnere, war es im Dezember letzten Jahres, bevor wir an die Macht kamen. Sie haben mich damals in einer meiner schwersten Stunden erlebt. Ich war nahe dran, mir eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Aber das Schicksal hat es nicht so gewollt, und es ist für all diejenigen, die den Mut verlieren, ein Beispiel, dass man einen Kampf nie aufgeben darf, auch, wenn es noch so hoffnungslos aussieht."

Am Montagabend ist Leni Riefenstahl im Alter von 101 Jahren in Pöcking am Starnberger See gestorben.

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