Lebensgeschichten als Lernmedium:"Jede Biografie ist interessant"

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Der Historiker Alexander von Plato erklärt im Gespräch, warum Biografien die Generationen näher zusammenbringen und warum jeder sein Leben aufschreiben sollte.

Jan Söfjer

Am 2. September startet der Biografien-Wettbewerb was-fuer-ein-leben.de. Die eingesandten Biografien werden von einer Jury - in der auch sueddeutsche.de vertreten ist, begutachtet und in einigen Wochen exemplarisch bei uns vorgestellt. Die spannendste Lebensgeschichte wird von einer Dokumentationsfirma verfilmt. Teilnehmen kann jeder. Weitere Informationen finden sich auf der Wettbewerbs-Site.

Alexander von Plato ist Leiter des Instituts für Geschichte und Biografie der Fernuniversität Hagen. (Foto: Foto: privat)

sueddeutsche.de: Herr von Plato, wann ist eine Biografie spannend? Muss sie bestimme Erlebnisse enthalten oder von einem Staatsmann oder Prominenten sein?

Alexander von Plato: Nein. Jede Biografie ist spannend. Außerdem muss die Frage lauten, für wen sie spannend sein soll. Es gibt immer Menschen, die sich für bestimmte Aspekte eines Lebenslaufes interessieren.

sueddeutsche.de: Sollten also auch einfache Arbeiter ihr Leben dokumentieren?

von Plato: Ich will weg davon, dass nur Leute mit hohen Funktionen interessante Biografien schreiben. Heute bedauert man es geradezu, dass einfache Arbeiter im 19. Jahrhundert nichts über ihr Leben niedergeschrieben haben, sondern nur höhergestellte Leute. Man wüsste so noch viel mehr über die unterschiedlichen Milieus. Auch die Veränderungen der Sprache und der linguistischen Struktur lassen sich gut mit Hilfe von Biografien erfassen.

sueddeutsche.de: Sind Biografien ein Medium, dass die Erinnerungskultur stärkt?

von Plato: Ja sicher. Durch sie lässt sich viel über die Vergangenheit in Erfahrung bringen. Zum Beispiel wie Opfer des Nationalsozialismus in der Nachkriegszeit zurechtgekommen sind. Durch solche Texte erhält man eine ganz andere Perspektive, als wenn man sich nur daran orientiert, was in der Öffentlichkeit für wichtig gehalten wird.

sueddeutsche.de: Von solchen Fällen einmal abgesehen. Was für Menschen schreiben Auto-Biografien? Eher Egomanen?

von Plato: Das würde ich nicht sagen. Ich glaube, Menschen, die ihre Lebensgeschichte aufschreiben, machen das, weil sie damit irgendwen erreichen wollen. Viele schreiben es für ihre Familie, für die Kinder und Enkelkinder auf, um ihnen zu zeigen, wo ihre Wurzeln sind und wie es früher war. Andere schreiben, weil sie ein bestimmtes Verhalten in der Vergangenheit rechtfertigen oder erklären wollen.

sueddeutsche.de: Ein Weg zur Aufarbeitung?

von Plato: In der deutschen Nachkriegszeit beispielsweise haben manche Veteranen anfangs noch über ihre Erlebnisse gesprochen, danach aber nicht mehr. Etliche sind ins Schweigen gefallen. Mit dem Niederschreiben der Erlebnisse können die Menschen erklären, warum sie in einer bestimmen Weise gehandelt und gedacht haben. Dadurch kann viel aufgebrochen, aber auch ein Verstehen oder ein Heilungsprozess in Gang gebracht werden.

sueddeutsche.de: Das gilt bestimmt nicht nur für Kriegsveteranen.

von Plato: Gerade in Deutschland hatten die letzten Generationen viele Systembrüche zu verdauen. Das sorgte für einigen Gesprächsbedarf. Viele, die in den 60er und 70er Jahren mit ihren Eltern quer lagen, haben es später bedauert, dass sie ihre Eltern nicht richtig ausgefragt haben.

sueddeutsche.de: Wie groß ist die Gefahr, dass Biografien durch Vergessen oder Verdrängen beschönigt werden?

von Plato: Natürlich haben viele Leute ein Interesse daran, bestimmte Seiten ihrer Biografie nicht allzu hoch zu hängen. Wenn sie zum Beispiel eine Verantwortung innehatten, die in einem neuen politischen System nicht gern gesehen wird, dann haben sie ein großes Interesse daran, ihre Geschichte bewusst anders dazu stellen. Entweder weil sie ihre Standpunkte geändert haben, oder weil sie hoffen, damit durchzukommen.

Es gibt auch welche, die im Freudschen Sinne Schuldgefühle und damit Schwierigkeiten haben, etwas an die Oberfläche zu bekommen. Wieder andere sind nie wieder nach ihrer Vergangenheit befragt worden und benötigen erst einige Anregungen, um sich zu erinnern.

Der Historiker Dr. Alexander von Plato ist Gründer und Leiter des Instituts für Geschichte und Biografie der Fernuniversität Hagen. Zudem ist er Mitherausgeber und Redakteur der "Zeitschrift für Biografieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen BIOS".

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