Länderspielkommentar:Der Plauderfranz

Lesezeit: 2 min

Sommerfußball: Beckenbauers Premiere als ZDF-Experte.

Von BENJAMIN HENRICHS

Warnung: Dieser Beitrag wird ein Klassiker! Nicht, weil der Verfasser übergeschnappt wäre. Sondern weil er gar nicht anders kann. Wer über einen Klassiker berichtet, wird selber einer, ob er will oder nicht. Zumal in Zeiten, da unser ganzes Leben im Banne der Klassiker steht. Da wir selbst beim Kauf eines Mineralwassers oder eines Klopapiers beglückt nach der Version "classic" greifen.

Mittwoch abend: Deutschland gegen Italien. Ein Freundschaftsspiel. Ein fröhlicher Sommerfußball. Aber so lässt sich die Sache nicht verkaufen. Also begann das ZDF schon in den heute-Nachrichten mit dem großen Gedröhne. Vom "Fußball-Klassiker" war mehrmals feierlich die Rede, einmal sogar vom "ewigen Klassiker", als ob es auch unewige Klassiker gäbe.

Fußballboulevard

Wäre man pedantisch, könnte man nun sagen, dass es in einem wirklichen Klassiker um die großen, die dramatischen Angelegenheiten gehen muss. So gesehen, war das Spiel der Deutschen gegen die Italiener kein Klassiker. Sondern, im Gegenteil, ein heiteres Sommerstück. Fußballboulevard.

Aber wer will an einem solchen Abend schon pedantisch sein? An welchem uns das ZDF die Premiere eines brandneuen ZDF-Experten bescherte: Franz Beckenbauer, auch er ein deutscher Klassiker. Wer sonst als er?

Der Fußballer war nicht allein als Experte. Ihm assistierte Johannes B. Kerner, ganz bleich vor Freude darüber, neben einem "Großen" stehen und wirken zu dürfen, wie er gleich zu Beginn in öliger Devotion bekanntgab. Kerner also kellnerte. Was aber tat Beckenbauer? Er plauderte. Schnell und fröhlich wie ein Wasserfall.

Wobei er sofort wieder seine schon klassische Virtuosität bewies in der hohen Kunst, etwas flott zu behaupten und gleich darauf das Gegenteil. Also Europameister werden die Deutschen nicht. Aber natürlich können sie Europameister werden. Weil sie nämlich eine echte Turniermannschaft sind.

Man sieht hieran, dass Beckenbauer auch als Experte immer noch Libero ist: ein freier Mensch. Beneidenswert frei jedenfalls von den profanen Gesetzen einer allzu engen, strengen Logik.

Beckenbauer ist als Redner nicht ohne Reiz. Wenn ihn die kindliche Heiterkeit antreibt oder auch die kindsköpfige Wut. Bei seiner ZDF-Premiere aber erlebten wir nicht das Glückskind Franz und nicht den Hitzkopf, sondern den freundlichen Fußballonkel. Der Experte, so verstanden, das ist einer, der immerzu redet - Genaues aber leider auch nicht weiß.

Für die nächsten ZDF-Auftritte wünschen wir, die lebenslangen Franzfans, uns unbedingt mehr Risiko, mehr Wahn und Witz, mehr Leidenschaft.

Ein sehr entspannter Fußballabend. Nur einer nahm die Sache tierisch, nahezu tödlich ernst. Torhüter Kahn (ein Mann der megastarken Gefühle, wie man weiß) sprach im Tragödienton von seiner Bitternis nach dieser bitteren Niederlage. Das (endlich!) war nicht klassisch. Das war Sturm und Drang.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: