Kurzkritik: Schlager:Die andere Heimat

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72 000 Fans bei Andreas Gabalier im Olympiastadion

Von Katharina Hinsche, München

Im frisch aufgebügelten Lieblingszwirn stehen sie stundenlang da und können es kaum erwarten, dass ihr fescher Lieblings-Österreicher die Bühne betritt. Endlich erscheint Andreas Gabalier, ehemaliger Jura- Student und Sohn eines Architekten, hat sich in knackig-enge Lederhosen gezwängt, den nackten, durchtrainierten Oberkörper in eine glänzend-schwarze Daunen-Weste gepresst, eine rot-weiß-karierte Binde um den Oberarm geknotet und die gegelten Haare akkurat zur Seite gescheitelt. Dann lässt er die Hüften kreisen und eröffnet "die größte Volks-Rock'n-Roll-Show der Welt" mit "Oh wie ist das schön" und "Bayern, des samma mia", während auf der Bühne schwarz- rot-goldene Lichteffekte aufflackern.

Schnell wird klar: Hier geht es nicht um gesangliche Exzellenz, sondern um Party, Stimmung und ein Lebensgefühl. Die Texte, begleitet von Gitarre oder Akkordeon, sind kaum zu verstehen. Vielleicht soll man sie auch gar nicht so genau verstehen. Schließlich geht es ums Mitklatschen und Mitstampfen. Ab und an dringt ein "Was für a Tag, was für a Leben" oder "Sie is dahoam, sie mag die Musi und den Kaiserschmoarn" ins Publikum durch. Gabalier preist immer wieder seine steirische Heimat, wo die Frauen (Zuckerpuppen) noch fesch sind, und Freundschaft noch ein Leben lang hält. Energiegeladen steht er da, hält oft inne, lächelt und kann sein Glück in Anbetracht der Menschenmassen selbst kaum fassen.

Gegen Ende, wenn tausende kleine Lichter das Stadion schmücken, kommen die Klassiker. Bei "Amoi seng' ma uns wieder" wird es plötzlich ganz still. Menschen liegen sich in den Armen und weinen, während auf der Bühne ein Cello die Dramatik steigert. Fast könnte man sich erschrecken über die jungen Frauen im rosa Dirndl, die sich bereitwillig auf starken Männerschultern umhertragen lassen und mitsingen, wenn ihr Andi ein altes Rollenbild anpreist. Aber anscheinend kommt die Heimat-Plattform mit Faschingscharakter wirklich gut an.

© SZ vom 03.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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