Kurzkritik: Pop:Stadionträume

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Tom Odell zeigt auf Tollwood, wohin seine Reise gehen könnte

Von Cindy Riechau, München

Das kommt unerwartet. Tom Odell, der vor allem für seine sanften Hits "Another Love" und "Grow Old With Me" bekannt ist, steht plötzlich auf seinem Klavier und reckt die Arme im Takt zu harten Rockakkorden in die Höhe. Kurz darauf tanzt er mit ausladenden Bewegungen zum Sound seiner Begleitband. Eine grelle Lichtshow unterstreicht diesen expressiven Moment des Singer-Songwriters. Nicht nur mit dieser Bühnenpräsenz überrascht der Brite mit dem blonden Topfschnitt bei seinem Auftritt auf dem Tollwood-Festival. Auch arrangiert er einige seiner Songs dafür völlig neu. Das griffige "Hold Me" etwa wird im Refrain zu einer handfesten Rocknummer. Schade nur, dass seine Stimme unter dem etwas zu lauten Sound der Instrumente etwas untergeht. Denn gerade von seinem soulig-inbrünstigen, manchmal geradezu wimmerndem Gesang leben Odells Lieder.

Beim melancholischen "Heal" kommt er dann wiederum perfekt zur Geltung. Während der Musiker dazu zarte Töne auf seinem Flügel spielt, wird er in einen weißen Kokon aus Bühnenlicht gehüllt. In diesem Moment ist er dann wieder ganz der zurückgezogene, introvertierte Singer-Songwriter, der im Verlauf des Abends kaum mehr als eine Handvoll Sätze zum Münchner Publikum sagt. Dann wieder wechselt der 26-Jährige die Rolle und spielt mit seiner Band eine energetische Version des Songs "Wrong Crowd", das mit seinem harten, peitschenden Beat und seinem kühlem Sound schon fast an elektronische Musik erinnert. Darüber legen sich Odells volle Stimme und das orange Scheinwerferlicht wie ein warmer Schleier.

Die Vielseitigkeit, das Charisma - ein bisschen riecht Odells Auftritt schon nach den Stadien. Die Sängerin Lily Allen nahm den Briten vor fünf Jahren auch deshalb unter Vertrag, weil seine Bühnenauftritte sie an David Bowie erinnerten. Man darf gespannt sein auf die Entwicklung dieses jungen Musikers. Das niedrige Musik-Arena-Zelt jedenfalls war kein so dankbarer Ort für seine opulente Show.

© SZ vom 29.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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