Kurzkritik Performance:Dunkler Traum

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"Howl": Bibiana Beglau zeigt die Nachtseite Amerikas

Von Egbert Tholl, München

Bang! "Ich sah die besten Köpfe meiner Generation zerstört vom Wahnsinn, hungrig, hysterisch, nackt." Allen Ginsburg hatte wohl konkret vor Augen, wen er da meinte mit den "besten Köpfen". Vielleicht auch seine Künstlerfreunde Kerouac und Burroughs. Er schrieb ihnen und allen anderen Geliebten ein Poem, "Howl", eben ein Heulen, ein Klagegesang, dunkel, düster, konkret und krude, erschreckend und poetisch, obszön, hart, glänzend.

Im Marstall des Residenztheaters kramt Bibiana Beglau ein bisschen auf einem schweren, alten Schreibtisch herum. Sie ist eine sehr freundliche Gastgeberin ihrer Lesung, die die Dramaturgin Angela Obst inszeniert hat (im Programmheft steht "szenische Einrichtung", was für ein Understatement). Beglau animiert das Publikum zu einem entspannten Verhalten, man könne herumlaufen und sich Getränke holen, doch jeder Gedanke an solches Tun ist verschwunden, sobald sie sich dem Text widmet. Denn dann wird man hineingezogen in die Macht einer Nacht, die voller Drogen, Räusche und Sex ist.

Der amerikanische Traum ist längst ein Albtraum geworden, und Beglau konstatiert die Verzweiflung, die Suche nach einer Befreiung, Befriedigung. Ginsberg ist nicht in jedem Vers unmittelbar zu verstehen - was ist die Kabbala des Bebop? -, dank Beglau jedoch schon. Man erspürt etwas im Gleißen ihrer Sprache, umgeben vom Großstadt-Sound, erschaffen von Flo Kreier und Johannes Oberauer. Jazz und Hochbahn. Dann übernimmt Beglau selbst die Musik, legt alte Tonbandkassetten ein, "On the Road Again" von Canned Heat oder Brahms' Klaviertrio. Dann wird der Ton direkter, "Moloch, dessen Seele Elektrizität und Banken sind", ein letzter Rodeo-Tanz auf dem Schreibtisch, Hendrix zerlegt das "Star Sprangled Banner", aus der Traum, alles kaputt. Groß!

© SZ vom 10.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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