Kurzkritik:Lust auf mehr

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Vom Tanz zum Krieg: die türkische Künstlerin Ceren Oran. (Foto: Cem Cerwionke)

Die Türkin Ceren Oran stellt mit "Heimat . . . los" ihre Arbeit in München vor

Von SABINE LEUCHT, München

In "Kapitel 1" tritt eine Frau an eine Staffelei und zeichnet. Die Striche, die nach und nach im auf die Bühnenrückwand projizierten Bild entstehen, deuten eine Häuserflucht an; eine windschiefe Gasse - vermutlich irgendwo dort, wo die türkisch-arabischen Klänge zu Hause sind, die man zur Livemalerei hört. Dann betritt Ceren Oran die Bühne des I-Camp, wo ihre Performance "Heimat. . . los!" noch heute und morgen um 20.30 Uhr zu sehen ist. In schwarzen Haremshosen, die taillenlangen Locken gebändigt, taucht sie langsam in die zur Musik passenden Bewegungen ein. Volkstanzbewegungen, zunächst nur angedeutet und ohne Ausgelassenheit. Sobald sie vollends in ihnen angekommen ist, ertönt eine Sirene - und im akustischen (Kriegs-)Tumult wird auch der Tanz gehetzt, die Drehungen geraten zu Suchbewegungen, die schwungvollen Arme erstarren in kämpferischer oder abwehrender Haltung.

Ceren Oran, 1984 in Istanbul geboren, hat an der Salzburg Experimental Academy of Dance studiert und lebt seit einem Jahr in München, wo sie mit diesem kurzen Drei-Frauen-Abend ihre künstlerische Visitenkarte abgibt. Denn neben der "Visual-Designerin" Funda Gül Özcans sind auch die Vokalimprovisationen von Nihan Devecioglu integraler Bestandteil dieses Stücks über die Zerreißprobe Migration. Devecioglu setzt atmosphärische Akzente, wenn Oran in "Kapitel 2" geistig Schwung holt zum Aufbruch, der Körper aber noch in alle Richtungen ausweicht. Und als sich die Krise zuspitzt, kommentiert sie das mit einer Art vielstimmigem Katzengejaule.

"Nicht nur der Körper immigriert in ein Land, auch Verstand, Herz und Seele. Nur können diese Aspekte menschlichen Seins unterschiedliche Reisedauer haben", schreibt Oran über ihre für ein ungefördertes Projekt sehr aufwendig produzierte Arbeit, die Lust macht auf mehr. Auch wenn das tänzerische Vokabular noch ausbaufähig ist und die narrative Ausrichtung und die oft schlichte Symbolik kleine Längen produzieren. Doch die Neu-Münchnerin, die nebenbei auch "Soundpainterin" ist - eine Form der Komposition mithilfe von ad hoc dirigierten Geräuschelieferanten - hat Ausstrahlung, einen weiten Horizont und einen klaren Zugriff. Und das ist schon viel.

© SZ vom 18.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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