Es ist nicht das Schlechteste, wenn man nach einem Theaterabend nach Hause geht und denkt: Jetzt hab ich auch noch was gelernt. Wenn "Schluchten", der "theatrale Stadtspaziergang", ausschließlich das erreicht hätte, wäre das schon was. Jedoch ist "Schluchten" erfreulicherweise auch noch etwas mehr als Unterrichtsstunde. Aber von vorn: In München Steinhausen, wo heute das Verlagsgebäude der Süddeutschen Zeitung und ihre Druckerei stehen, existierte in der Nachkriegszeit ein "Landfahrerlager", in dem nichtsesshafte Münchner lebten. "Zigeunerschlucht", sagte man. Die Menschen wurden für den Bau einer Autobahn von dort in Siedlungen nach Freimann vertrieben. Regisseurin Dorothea Schroeder hat mit Anwohnern gesprochen, mit Nachkommen dieser Sinti und Roma. Sie hat Geschichten gesammelt und Belege des Rassismus, der den Sinti und den Roma bis heute entgegenschlägt.
Zu Beginn trifft man sich vor der SZ-Druckerei, wo ein älterer Steinhausener von einem Freibad berichtet, das hier einst lag und das man nur erreichen konnte, indem man die "Zigeunerschlucht" durchquerte. Es folgen Stationen, an denen Zuschauer junge Sinti und Roma einkleiden sollen, so, wie sie sich "Zigeuner" vorstellen. Das Ganze tröpfelt etwas ziellos dahin, es soll wohl dazu dienen, bestehende Klischees erst aufzuzeigen, um sie später zu zerschlagen.
Der Abend findet seine theatrale Form, als die Zuschauer in kleinen Gruppen verschiedene Orte in Steinhausen besuchen. Einen Kirchenraum, einen Wohnwagen, einen Kindergarten, einen Vorgarten. Sie hören Erstaunliches, zum Beispiel von der Sozialarbeiterin Uta Horstmann, die 1980 mit Sinti in Dachau in einen Hungerstreik trat, um die Staatsregierung zur gesellschaftlichen Rehabilitierung der Sinti und Roma zu bewegen. Unglaubliches hört man auch, als ein Sinti berichtet, Ärger mit der Familie bekommen zu haben, weil eine Cousine seiner Frau Krankenschwester gewesen sei. Ein Beruf, der unter strengen Sinti als "unrein" gilt. Der dokumentarische Abend nimmt Roma und Sinti nicht grenzenlos in Schutz, er vermittelt mit einfachen theatralen Mitteln zwischen Minderheiten und Mehrheitsgesellschaft und zeigt auf spannende Weise, wie viele unerzählte, gute Geschichten buchstäblich vor der Bürotür liegen.