Kurzkritik Klassik:Unpathetisch

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Bernhard Haitink dirigiert Bruckner

Von Klaus P. Richter, München

Man erinnert sich noch gut, wie Bernhard Haitink mit seinem Bruckner einst den mystischen Verzückungszauber der Jochum- und Celibidache-Zeit radikal liquidierte. Mit forschen Tempi, schroffen Phrasierungen und einer kühlen Diktion drangen die Bruckner'schen Zumutungen verstörend unter die Haut und vertrieben alles "katholische" Ambiente. Jetzt stand er mit der sechsten Sinfonie wieder am Pult des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks - als 88-Jähriger. Würde er mit philosophischer Altersmilde seine nüchternen Schroffheiten glätten - wozu die pastoralen Elegien der A-Dur-Sinfonie allerhand Raum böten? Oder an seiner rigorosen Ästhetik festhalten - wozu die Forte-Stürme und Unruheherde ebenso viel Gelegenheit geben?

Haitink machte beides: schon im andämmernden Piano-Beginn wie im düsteren c-Moll-Trauermarsch-Grave des Adagios beschwor er unverhohlen den Mystiker. Aber mit agogischen Zuspitzungen von der Reprise im ersten Satz bis zu den monumentalen Themenapotheosen im Finale beschleunigte er Puls und Tempi und komprimierte die Reaktionsdichte der Orchestergruppen - immer aber mit der sparsamen Schlagökonomie des abgeklärten Könners. In den großen Forte-Ausbrüchen brillierte besonders das Bläserensemble der Symphoniker, auch wenn dort das enthemmte Espressivo im Gesamtklangbild oft mit einiger Rauheit auftrat.

Mit souveräner Knappheit lenkte Bernhard Haitink zuvor auch das zweite Klavierkonzert von Beethoven. Der englische Pianist Paul Lewis, unter anderem inspiriert von Alfred Brendel, führte dabei einen klar strukturierten Beethoven vor, der noch viel von seiner Nähe zu Haydn und Mozart verriet, auch wenn er in den Kadenzen schon die eigenwilligen Subjektivismen des neuen Genies auskostet. Lewis strapazierte diese jedoch nicht und befand sich damit, wie auch im Adagio, in seiner unpathetischen Diktion ganz im Einklang mit Haitink.

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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