Kurzkritik: Klassik:Klug kombiniert

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Münchner Philharmoniker und Philharmonischer Chor mit Beethoven und Schostakowitsch

Von Michael Stallknecht, München

Über ihren Chefdirigenten Valery Gergiev sind die Münchner Philharmoniker inzwischen eng mit Dmitri Schostakowitschs Klangsprache vertraut. Wie sehr, das konnte man nun auch bei Schostakowitschs Dreizehnter Symphonie unter dem Dirigat Michael Sanderlings im Gasteig hören. In der Vokalsymphonie hatte Schostakowitsch im Jahr 1962 Texte des erst vor drei Wochen verstorbenen Lyrikers Jewgenij Jewtuschenko vertont - darunter auch das bis heute prominenteste Gedicht Jewtuschenkos: "Babij Jar", das erstmals den Antisemitismus in der Sowjetunion anklagte. Mit Jewtuschenkos Worten spürte Schostakowitsch der Atmosphäre nach dem Tod Stalins nach, in der der neuen Freiheit des Sprechens nur eingeschränkt zu trauen war.

Michael Sanderling setzte mit dem russisch singenden Männerchor des Philharmonischen Chors im Gasteig nicht auf großes Pathos, auch nicht auf die grelle Groteske, sondern führte die Symphonie mit bewundernswertem, großformalem Überblick und handwerklicher Souveränität in ihr Zentrum: die Klage um unwiederbringlich verrinnende Lebenszeit in der Diktatur. In Matthias Goerne hatte er dafür den richtigen Solisten, der in der fast einstündigen Solopartie nie forcierte, sondern ebenfalls nach den weichen Farben der Verinnerlichung strebte.

Es war durchaus eine Frage, ob dagegen Beethovens Coriolan-Ouvertüre und Chorfantasie in der zweiten Hälfte überhaupt noch ankommen könnten. Herbert Schuch spielte den Klavierpart in der Chorfantasie anfangs leicht unsicher, später dann mit umso schöner leuchtendem Legato in der melodischen Führung. Doch die Kombination erwies sich als schlüssig, weil sich Sanderling mit dem Philharmonischen Chor für die Neufassung des Texts von Johannes R. Becher aus dem Jahr 1951 entschieden hatte. Der spätere Kulturminister der DDR beschwor dort eine Menschheitsutopie, die sich zur selben Zeit unter Stalin längst ins Gegenteil verkehrt hatte. Ein kluges Programm also, ebenso klug musiziert.

© SZ vom 24.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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