Kurzkritik Kabarett:Unter Strom

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Urban Priol wettert, lästert und flucht im Lustspielhaus

Von Cindy Riechau, München

Urban Priol fühlt sich unterfordert. In Zeiten, in denen Leute wie Donald Trump regieren, schrieben diese Politiker ihm schlicht seine Vorlagen. Beschäftigt ist er dennoch: mit Wettern, Lästern und Fluchen. Fast drei Stunden redet er sich im voll besetzten Lustspielhaus in humoristische Rage über Politiker, Autokonzerne und Vorstandschefs. An drei Abenden hintereinander führt er dort sein Programm "gestern heute morgen" auf.

Priol erfindet das Kabarett dabei nicht neu. Witze über Donald Trumps Haartolle haben sich inzwischen doch ziemlich abgenutzt. Andere politische Verfehlungen sind dagegen zeitlos: Angela Merkels Versprechen, mit ihr gäbe es keine Maut zum Beispiel. "In der Psychologie gibt es einen Begriff für diese Krankheit: Morbus Dobrindt", witzelt der Kabarettist mit den bunt gemusterten Hemden und der Frisur, die aussieht, als hätte er in die Steckdose gefasst. Seine Häme steckt an, das Publikum johlt begeistert. Sein Humor ist sicher nicht der feinsinnigste, aber Priol legt die Finger oft zielsicher in offene Wunden, egal, ob es dabei um die zynischen Methoden geht, mit denen Flüchtlinge von Europa fern gehalten werden sollen, oder um unser in vielerlei Hinsicht ungerechtes Steuersystem. Gerne mag er es auch mal derb. Über die Rolle von Rentnern bei Wahlen bemerkt er: "Über die Zukunft entscheiden diejenigen, die gar keine mehr haben." Und legt nach: "Manche Senioren sind bei der Abstimmung über den Brexit noch in der Wahlkabine verschieden."

Auch mit der politikverdrossenen Jugend rechnet Priol in seinem Programm ab. Aber war früher wirklich alles besser? Seine Sketche aus vergangenen Jahrzehnten, die er für "gestern heute morgen" wieder auflegt, beweisen das Gegenteil. Mühelos schlüpft er in die Rollen von Ronald Reagan und Günter Schabowski. Am meisten überzeugt er dabei aber als Thomas de Maizière, dessen Redeweise er perfekt imitiert. Was an seinem Programm aber stört, ist die Einseitigkeit. Urban Priol macht aus seiner persönlichen politischen Einstellungen keinen Hehl und verschont das linke politische Spektrum mit wenigen Ausnahmen doch zu sehr.

© SZ vom 02.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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