Kurzkritik:Der Guru

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Klaviervirtuose Vijay Iyer mit Trio in der Muffathalle

Von Oliver Hochkeppel

München - Inzwischen hat Vijay Iyer, der amerikanische Pianist mit den indischen Wurzeln, tatsächlich Guru-Qualitäten. Mit druckreifen, wohlgesetzten Ansagen, in sich ruhend und tiefenentspannt bis in die Fingerspitzen - anders wäre vieles von dem, was er macht, auch gar nicht spielbar - vermittelt er den Eindruck eines Musikers, der den Schlüssel zu seiner Kunst gefunden hat. Und so klingt der "Break Stuff" vom soeben erschienenen, gleichnamigen ecm-Album dann auch, den er mit seinem kongenialen Trio in der Muffathalle präsentiert. Seit bald zwölf Jahren arbeiten Iyer, Bassist Stephan Crump und Drummer Marcus Gilmore jetzt zusammen, was ihnen einen Grad blinden Vertrauens ermöglicht, der einen in manchen Passagen umhaut. Weil sie aber jeweils auch in diversen anderen Projekten spielen, sprengen sie überdies den üblichen Trio-Kontext. "Die Logik des Umwidmens begleitet uns seit jeher", sagt Iyer, "wir nehmen etwas, was nicht für unser Format gemeint war, und schlüpfen einfach mit dem Schuhlöffel rein."

In der Tat ist das in der Muffathalle ausgebreitete Material so disparat wie irgend möglich: Vom Ellington/Strayhorn-Solo "Bloodcount" geht es über das von westafrikanischer Rhythmik durchdrungene Gedankenspiel "Countdown" über John Coltrane und eine vertrackte Hommage an Iyers Leib-und-Magen-Vorgänger Thelonious Monk ("Work") bis zur seriell-minimalistischen, vom Detroiter Techno-Produzenten und -DJ Robert Hood inspirierten Studie "Hood", die dem Spannungsverhältnis zwischen Wiederholung und Variation mit Hochgeschwindigkeit, Wucht, Klarheit, abrupten Wechseln und der Versenkung in das kleinstmögliche Detail nachspürt wie kaum etwas je Gehörtes. Dazu kommen Artifizielles wie der Titeltrack aus einer Suite Iyers für das Museum of Modern Art und die faszinierenden Vogelstücke "Starlings" und "Geese" aus der Zusammenarbeit mit dem nigerianischen Schriftsteller Teju Cole, die das Thema Migration von der wechselnden Vogelperspektive auf New York in musikalische Bewegung und Raumerschließung übersetzt.

Die Frage seiner indischen Abstammung, die Iyer lange musikalisch geprägt hat, interessiert ihn heute offensichtlich nur noch am Rande. Er ist viel weiter zum Kern allen Musizierens vorgestoßen. So kann er seinem Spiel die extreme Süße eines George Shearing geben, um nahtlos zu mathematischen, geradezu eiskalten Klängen zu wechseln. Über diese Bandbreite verfügt derzeit nur der promovierte Physiker Vijay Iyer. Ein Jazz-Guru neuester Generation eben.

© SZ vom 02.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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