Kurzkritik:Armenische Allianz

Lesezeit: 1 min

"Forceful Feelings" mit "The Show" im Gasteig

Von Eva-Elisabeth Fischer, München

Das Wissen über Armenien bewegt sich nicht selten zwischen zwei Extremen, zwischen dummen Radio-Eriwan-Witzen und/oder dem Genozid vor 100 Jahren. Tigran Mikayelyan, Erster Solist beim Bayerischen Staatsballett, widmet "The Show" seiner tanzenden Peergroup "Forceful Feelings" dem Gedenken an den Massenmord. Gleichzeitig aber ist sein neues Programm im bedauerlicherweise längst nicht ausverkauften Carl-Orff-Saal der wiederholte Beweis, dass in der armenischen Hauptstadt das Ballett aufs Schönste kultiviert wird. Mikayelyan und seine Freunde haben die Armenische National-Ballettschule absolviert, tanzen ganz vorn im Königlich Schwedischen Ballett oder eben in München. In Eriwan also bildet man schneidige und dabei sensible Kerle auf höchstem Niveau heran, was einen dazu verleitet zu sagen: Der Tanz ist ein Mann.

Natürlich werden die vier Männer auch an diesem Abend von Frauen - es sind deren drei - unterstützt. Aber Tigran Mikayelyan, Arsen Mehrabyan, Vahe Martirosyan und Ilia Sarkisov (ein Russe) beherrschen den Abend, was sie mit einer sprunggewaltigen Schlussnummer eindrücklich bekräftigen. Sarah-Jane Brodbeck weht in Mehrabyans "Serenity" über die Bühnenbreite wie eine flüchtige Männerphantasie aus der Romantik - nicht mehr. Dabei steht das Thema "chercher la femme", zumal im ersten, choreografisch gewichtigeren Teil des Abends, in allen denkbaren (emotionalen) Facetten im Mittelpunkt. Das bedeutet auch, dass man sich diesmal, mit wenigen Ausnahmen, auf die Essenz des Tanzes schlechthin kapriziert - den Pas de deux, ausschließlich in seiner zeitgenössischen Variante auf flacher Sohle.

Das Eingangs-Duett "Unreachable Places" von Jiří Bubenicek legt, was den Ausdruck anlangt, die Latte hoch. Arsen Mehrabyan und Sarah-Jane Brodbeck sind durch einen ellenlangen Rock hüftabwärts miteinander verbunden, was man im Bühnendunkel erst nur vage erkennt. Ihre Oberkörper gleichen beredten Schlingpflanzen, die von der zehrenden Sehnsucht erzählen, eins zu sein. Viel Liebreiz verleiht die Japanerin Mariko Kida der Aurora in Mats Eks "Dornröschen". Und natürlich brilliert der katzenhaft geschmeidige Tigran Mikayelyan in diesem Programm auch solo, rhythmisch mit flexibler Hüfte, die Arme lang wie ein Affe - ein sehr schöner, der in der nächsten Nummer mit Ray Charles komisch auftrumpfen darf : "I Got A Woman".

© SZ vom 24.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: