Kurzgeschichten von Angelika Meier:Jogi Löw liegt gerne auf dem Nachttisch

Lesezeit: 2 min

In einer von Angelika Meiers Erzählungen kommt Jogi Löws intimes Geheimnis an die Öffentlichkeit. (Foto: dpa)

Ein Liebespaar wird auf Wunsch zusammengenäht, um endlich eins zu sein, und Jogi Löw löst einen absurden Wellness-Trend aus. In Angelika Meiers Erzählungen "Stürzen, darüber schlafen" ist das Verrückte das Normale und umgekehrt.

Von Jörg Magenau

Eine kleine Verschiebung der Perspektiven, vielleicht nur eine verrutschte Zeile im Text, und schon ist in diesem Buch die Wirklichkeit in eine absurde Szenerie verwandelt. Wenn Jürgen Klinsmann in einer Döner-Bude am Kottbusser Tor aus den Händen von Bundespräsident Horst Köhler das Bundesverdienstkreuz erhält, könnte das an diesem Ort Irritationen auslösen. Doch den Beteiligten kommt es kein bisschen seltsam vor. Anders verhält es sich mit Joachim Löw, der in einem Hotel in der Neuköllner Hermannstraße abgestiegen ist.

Bei ihm sind die Verhältnisse durch einen Interview-Fragebogen aus dem Lot geraten. Anstatt die Sätze "Auf meinem Nachttisch liegt . . ." und "Sport mache ich . . ." unauffällig mit " . . . ein gutes Buch" und ". . . am liebsten einmal pro Tag" zu vervollständigen, steht da nun: "Auf meinem Nachttisch liege ich am liebsten einmal pro Tag, es ist mein wichtigster Ausgleich."

Deplatzierte Prominenz

So gerät Löws intimes Geheimnis an die Öffentlichkeit, was aber nur dazu führt, dass bald überall in der Stadt Menschen rücklings über Briefkästen, Kühlerhauben und eiligst herbeigeschafften Gegenständen liegen. Joachim Löw hat einen neuen Entspannungstrend begründet.

In den kleinen Geschichten von Angelika Meier sind derartige Verfremdungseffekte deplatzierter Prominenz noch die harmlosesten Erscheinungen. In den schwerwiegenderen Fällen ist es der eigene Körper, der Befremdungsgefühle auslöst. So im Falle des Mannes, der zunächst nur ein kleines blutendes Loch im Bauch hat, dem dann aber nach und nach die ganze Bauchdecke entfernt wird. Und weil ihm daraufhin permanent die inneren Organe herauszufallen drohen, schneidet er sie sich heraus, bis die Bauchhöhle ein leerer Kasten ist und er sich besser fühlt.

Das Verrückte ist in diesen Geschichten das Normale und umgekehrt. Komisch wird das nicht zuletzt deshalb, weil die verschiedenen Ich-Erzähler dabei keine Miene verziehen, selbst dann nicht, wenn ihnen Gespenster begegnen. Die allerdings sehen aus wie amerikanische Touristengruppen oder treten in Gestalt zweier Männer auf, die stundenlang über Handy-Chipkarten reden können. Furchterregend wäre das allenfalls, wenn es sich dabei nicht um Gespenster, sondern um echte Menschen handeln würde.

Die 1968 geborene Berliner Autorin Angelika Meier hat mit ihrem sarkastischen Roman "Heimlich, heimlich mich vergiss" bewiesen, wie poetisch Boshaftigkeit und schwarzer Humor sein können. Dass sie eine theoretisch hochgerüstete, promovierte Literaturwissenschaftlerin ist, lässt ihre kluge, bissige Prosa erkennen, ohne dabei jemals seminaristisch überklug zu wirken. Ihre Miniaturen sind vergnüglich zu lesende Etüden in Sarkasmus, allesamt dazu geeignet, die Zumutungen der Wirklichkeit auf Distanz zu halten.

Vorstellungsgespräch für Mörderinnen

Ein Liebespaar, das von einem Freund wunschgemäß zusammengenäht wird, um endlich eins zu sein; eine Frau, die in einem Vorstellungsgespräch unter zahlreichen Bewerberinnen eine geeignete Mörderin für ihren Vater auswählt; ein "Generalkonsultant" im Rollstuhl, dessen Bürotür plötzlich zugeschlossen ist, so dass die Untergebenen nicht mehr zu ihm vordringen können; ein Mann im Druckanzug, der mit Klaustrophobie zu kämpfen hat: Stets geht es darum, sich in allzu eng gewordenen Verhältnissen ein wenig Luft zu verschaffen.

Bewegungsspielräume ergeben sich durch die Erweiterung der Realität und ihre groteske Überdehnung. Dieses erzählerische Prinzip funktioniert naturgemäß nur auf sehr kleinem Raum. Zwei Kurzdramen, die dem Buch beigegeben sind, und in denen Jack Nicholson im Schreibzimmer eines "Ich" vorbeischaut und Kleists Penthesilea in hollywoodesker Pool-Szenerie auftritt, wirken dagegen merkwürdig ziel- und witzlos. Auf der Bühne läuft der Wille zum Absurden leer. Da ist schon zu viel Raum, um sich an Grenzen abzuarbeiten. Dabei zuzusehen, ist dann nicht mehr lustig, sondern bloß noch ermüdend.

© SZ vom 24.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesetipps für den Sommer
:Geschichten, besser als der Urlaub

Fiese Mörder, raffinierte Hochstapler und amüsante Dreiecksgeschichten: Der Urlaub soll nicht nur Erholung bringen, sondern auch spannende Storys. Acht Münchner Buchhändlerinnen sagen, welche Lektüre sich für diesen Sommer besonders eignet.

Von Christiane Lutz, Katja Riedel und Martin Hammer
Jetzt entdecken

Gutscheine: