Kunstreport:Der rätselhafte Mister Blue

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Das Stadtmuseum in Abensberg zeigt Malerei und Grafiken von Manfred Sillner

Von Sabine Reithmaier, Abensberg

Manfred Sillner malt rätselhafte Bilder. Manchmal haben sie auch seltsame Entstehungsgeschichten. "Die Häuser des Metzgers" wurzeln in dem Wunsch eines Abensberger Fleischermeisters nach einem Gemälde, das alle seine Immobilien vereint in einem Bild zeigt. Sillner fand das Ansinnen bizarr und lehnte ab. Doch der eigenartige Wunsch verhakte sich in seinem Kopf. Schließlich dekorierte er die sechs Gebäude wie einen barocken Tafelaufsatz auf einen Tisch. Das Geschirr ersetzen die Werkzeuge des Metzgers: ein großes Beil, Geflügelscheren, Gabeln und diverse Messer, darunter das Lieblingsschlachtmesser des Metzgers. Dessen mit Faden umwickelten Griff hat Sillner bis in die letzte Windung exakt festgehalten, was den begeisterten Auftraggeber zu Tränen rührte.

Zwei Jahre dauerte es, bis das Gemälde, technisch perfekt wie alle Werke des Abensberger Künstlers, vollendet war. Er schaffe höchstens zwei Bilder im Jahr, sagt Sillner. "Geschäftlich bin ich völlig uninteressant." Trotzdem ist es ihm gelungen, von seiner Kunst zu leben. Sämtliche Gemälde, die im Abensberger Stadtmuseum zu sehen sind, stammen von privaten Leihgebern. "Ich selbst besitze kein einziges Bild."

1937 als Kind zweier Oberpfälzer in Berlin geboren, war Sillners künstlerischer Weg nicht vorgezeichnet. Nach dem Abitur wurde er erst Zöllner - "eine Katastrophe für mich" -, dann Volksschullehrer in der Gegend um Regensburg. Und Freizeitmaler, solange, bis der junge Lehrer 1964 auf der Eisernen Brücke zufällig seinen ehemaligen Kunstpädagogen Hannes Weikert traf. Der ermutigte ihn zum Besuch der Kunstakademie. Seit 1975 lebt er als freier Künstler, erst in Berlin - "das war ein Irrtum" - dann in Kelheim und Abensberg.

Der Surrealist Mac Zimmermann, in dessen Klasse Sillner an der Akademie landete, nannte ihn "Mr. Blue". Der Spitzname erschließt sich, wenn man vor den zwei großen Regensburg-Bilder steht. Blau ist die vorherrschende Farbe, zum ersten Mal überhaupt hängen sie nebeneinander. In beiden stand Albrecht Altdorfers "Alexanderschlacht" Pate, nicht nur des großen Formats wegen. Allerdings interessierte sich Sillner nicht für die Schlacht zwischen dem Perserkönig Darius und Alexander dem Großen im Jahr 333 v. Christus. Statt der Soldatenheere malte er das Regensburger Stadtbild mit all seinen verwinkelten Gassen. "Altdorfer würde sich da heute noch zurecht finden, so wenig hat sich an der Anlage verändert", sagt Sillner. Statt des Bergs türmen sich im Hintergrund Denkmäler der Stadt vor einem intensiv schimmerndem Wolkenhimmel. Auch Altdorfers Haus aus der Oberen Bachgasse ist dabei oder die Minoritenkapelle.

30 Jahre später schuf Manfred Sillner 2012 eine zweite Fassung. Genauso groß, aber dort, wo in der ersten Version noch eine Schrifttafel hängt - bei Altdorfer kündet sie den Ruhm Alexanders, bei Sillner davon, dass es sich um einen Prospect der Altstadt von Regensburg handelt - ist nur mehr ein schwarzes Loch. Die Farben fahl, kein sanfter goldener Schein mehr, alles Erzählende ist verschwunden. Die Fenster sind dunklen Öffnungen gewichen. Bedrohlich wirkt das, ungeheuer still.

Ob Radierung, Zeichnung oder Ölgemälde: Sillner bildet mit fotografischer Genauigkeit ab, jedes Detail minutiös mit spitzem Pinsel ausgestaltet. Die meisten seiner Werke führt er in mehreren Techniken aus. Oft ist das Motiv für die Bildschöpfung auf den ersten Blick erkennbar, doch Sillner spielt mit den Zitaten, verwandelt sie in eine neue, fantastische Wirklichkeit. Gern kombiniert er zeitlich weit auseinander liegende Ereignisse. Lässt in "Hannibal in Mailand" goldene Elefanten über Leonardo da Vincis Abendmahltisch rollen, zwölf (mit Jesus) in die eine, den Judas in die andere Richtung. Den Tisch platziert er in das Refektorium des Mailänder Klosters, in dem zwischen 1495 und 1498 da Vinci das "Abendmahl" als Wandgemälde malte. Oder er hält in "Verlorene Bibliothek" all die Bücher fest, die er auf Gemälden in der Alten Pinakothek entdeckte.

Manchmal spaziert der Blick durch Landschaften, deren Horizont im Unendlichen verschwindet, steigt bröckelnde Treppen hoch, die sich im Nichts verlieren. Alles ein wenig melancholisch, ein wenig sonderbar und doch harmonisch.

Sehnsucht zu bleiben - Malerei und Grafik von Manfred Sillner , bis 27. März, Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr, Stadtmuseum Abensberg

© SZ vom 25.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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