Kunstprojekt:Gesicht zeigen, Geschichten erzählen

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15 von 200 Frauen, die sich in verschiedenen Projekten für mehr Chancengleichheit und Gerechtigkeit engagieren, darunter Kimbra (oben, 2. v. li.) Margaret Atwood (oben rechts), Jane Goodall (2. Reihe 2. v. li.), Anne-Sophie Mutter (untere Reihe 2. v. li.) und Ashley Judd (unten rechts). (Foto: Kieran E. Scott)

Was Frauen bewegt und was sie bewegen können - ein Buch und eine Ausstellung in der Alten Bayerischen Staatsbank geben in einfühlsamen Porträts Auskunft

Von Evelyn Vogel

Es gibt Momente im Leben, die alles verändern. Die Menschen zu Tätern oder Opfern machen, die Leben in ganz andere Bahnen lenken oder gar zerstören. Momente voller Furcht, Schwäche und Hoffnungslosigkeit, aber auch Momente voller Stärke und Zuversicht, weil Opfer sich wehren, sich trauen zu sprechen und anzuklagen. Momente, in denen Menschen Hilfe finden, sich zu befreien und später vielleicht auch anderen helfen können. Weil Betroffene verstehen, dass sie nicht alleine sind. Manchmal sind solche Momente zähe, quälend lange Prozesse. Die "Me Too"-Debatte war und ist ein solch langer "Moment". Und gewiss einer, der noch lange nachwirken wird.

In dieser Hinsicht passt das Buch- und Ausstellungsprojekt "200 Frauen - Was uns bewegt" in diese Debatte. Aber die Idee dazu ist älter als der Hashtag "Me Too". Und sexuelle Gewalt gegen Frauen ist ein Thema, aber nicht das einzige, worüber die 200 Frauen sprechen. Es geht auch um Schicksalsschläge wie Krankheit und Tod, denen man nicht ausweichen kann. Es geht um gesellschaftliche Strukturen, in denen Frauen jahrhundertelang keine Chancen hatten, Strukturen, die aber durchbrochen, die verändert werden können - und die manche dieser Frauen verändert haben und anderen helfen.

An einer Stelle heißt es: "Man kann Frauen nur stärken, wenn man sie ihre Geschichten erzählen lässt." In diesem Sinne hat der neuseeländische Verleger Geoff Blackwell gemeinsam mit Ruth Hobday und dem Fotografen Kieran E. Scott mehr als 200 Frauen gebeten, ihre Geschichten zu erzählen. Dafür flogen sie um die ganze Welt, ließen sich von Instinkt leiten und von Empfehlungen weitertragen. Gemeinsam schafften sie es, einen Raum des Vertrauens zu schaffen, in dem die Frauen Auskunft gaben über ihr Leben, einen Raum, der eigentlich nur aus einem weißen Baumwolltuch bestand - ob im teuren New Yorker Hotel oder auf dem staubigen Flachdach über den Straßen von Kalkutta. Von Anfang bei dem Projekt dabei: die deutsche Verlegerin Elisabeth Sandmann, die selbst noch zwölf Frauen für die deutsche Ausgabe befragen konnte, sowie BMW, die das gesamte Projekt finanzierten und im Frühjahr bei einer Ausstellung in New York erstmals präsentierten.

Am vergangenen Wochenende nun wurde eine beachtliche Auswahl der Porträts in der Alten Bayerischen Staatsbank vorgestellt. Und man muss sagen: Es waren fast so viele Frauen vor wie auf den Porträts zu sehen - und nicht eben wenige Männer. Außerdem waren einige der porträtierten Frauen angereist, um von dem Moment zu erzählen, der ihr Leben veränderte. Zu sehen sind teils groß-, teils kleinformatige Porträts. Manchmal schauen die Frauen die Betrachter frontal und herausfordernd an, manchmal blicken sie nachdenklich und versunken zur Seite. Man sollte nicht versäumen, in die Nebenräume zu gehen, in denen man den Geschichten in Form von Videoporträts in aller Ruhe zusehen und -hören kann. Es sind Frauen, die durch ihre Worte und ihre Haltung etwas in uns bewegen. Frauen mit ganz unterschiedlicher Nationalität, Alter, Herkunft, Religion, Bildung und Bekanntheit. Ob Berühmtheiten wie Anne-Sophie Mutter, Margaret Atwood, Jane Goodall, Isabel Allende, Maria Shriver oder Winni Mandela, ob eine Ziegenhirtin, eine Krankenschwester oder eine Straßenverkäuferin - alle beantworten die gleichen fünf Fragen: Was ist Ihnen wirklich wichtig? Was macht Sie glücklich? Was empfinden Sie als tiefstes Leid? Was würden Sie in der Welt verändern, wenn Sie könnten? Wählen Sie ein Wort, das Sie beschreibt.

Liebe ist das wohl meistgenannte Wort, mit dem Frauen sich identifizieren. Aber auch Wut, Mut und Widerstandskraft, Vertrauen, Empathie, Energie und Eigensinn, Fürsorge, Großzügigkeit, Optimismus, Integrität und Loyalität, Subversion, Ehrlichkeit, Dankbarkeit, Beharrlichkeit, Neugier, Toleranz und vieles mehr steht für die Haltung, mit der Frauen ihr Leben meistern und ihre Ziele verwirklichen. Und wer befürchtet, dass die immer gleichen Fragen immer gleiche Antworten zur Folge haben, wird angenehm enttäuscht. Die Antworten sind so vielfältig wie die Frauen und die Momente, an denen sich ihre Schicksale entschieden.

Auch für den Initiator Geoff Blackwell gab es einen Moment, der zwar nicht sein Leben, aber doch seinen Blick auf Frauen und ihre Schicksale verändert hat. Es war vor etwa drei Jahren in Südafrika, wie er im Gespräch nach der Vernissage erzählte. Um quälende Nackenschmerzen loszuwerden, ging er zu einer Massage. Aus dem üblichen Geplauder mit der behandelnden Masseurin entwickelte sich ein ernsthaftes Gespräch über ihr Leben, das von Leid, aber auch von Stärke und Zuversicht geprägt war. Was er hörte, ließ ihn nicht mehr los. Es war jener Moment, in dem das 200-Frauen-Projekt geboren wurde.

200 Frauen. Was uns bewegt , Alte Bayerische Staatsbank, Kardinal-Faulhaber-Str. 1, bis 21. November, Di.-Sa. 10-20 Uhr, Sa. 10-18 Uhr; 26. November bis 14. Dezember: TU München, Arcisstr. 21, Mo.-Fr. 9-21 Uhr; das Buch "200 Frauen - Was uns bewegt" ist im Elisabeth Sandmann Verlag erschienen (35 Euro)

© SZ vom 29.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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