Kunstmesse:Geben und nehmen

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Vorsicht Verletzungsgefahr! Die Koreanerin Bongchull Shin hat diesen Schriftzug aus Glasscherben geformt. (Foto: Stephan Rumpf)

Digitale Gemälde, Street-Art und Skulpturen auf der "Artmuc"

Von Judith Nikula, München

Zwei Spiegel hängen nebeneinander an der Wand, der eine mit "Give", der andere mit "Get" beschriftet. Neugierig bleiben die ersten Besucher stehen. Einer von ihnen geht zögerlich auf das Mikrofon zu, das vor dem linken Spiegel auf einem Podest steht. Er überlegt kurz, dann streckt er seinem Spiegelbild die Zunge raus und ruft "Yeah" ins Mikrofon. Einige Sekunden später erscheint seine Grimasse auf dem Spiegel daneben. Die Umstehenden lachen laut auf.

Es ist ein Geben und Nehmen, das der Künstler Michael Acapulco in seiner Installation arrangiert hat. Wer sich vor den einen Spiegel stellt, wird in einem Video aufgezeichnet, das später im anderen Spiegel zu sehen sein wird. Dem Publikum auf der "Artmuc" scheint die Idee zu gefallen. Immer wieder posiert jemand, verteilt Luftküsschen oder reckt den Daumen hoch.

Noch bis Sonntag findet die Kunstmesse zum dritten Mal auf der Praterinsel statt. 550 Bewerbungen hat es in diesem Jahr gegeben, 80 Einzelkünstler wurden von der fünfköpfigen Jury ausgewählt. Die Vielfalt der Arbeiten reicht von abstrahierten Katzenskulpturen über knallige Pop-Art-Motive, die inspiriert sind von den Stormtroopers aus "Star Wars", bis hin zu Fotografien von Londoner Underground-Stationen. Auf vier große Hallen verteilen sich Einzelkünstler, Kollektive, Galeristen, Plattformen wie der BBK und zahlreiche Infostände.

Trotz des Regens, der zur Eröffnung einsetzt, ist die Praterinsel gut besucht. Bierflaschen werden geöffnet, Sektgläser stoßen klirrend aneinander, an der Bar erklingt elektronische Musik. Mehr als 11 000 Besucher sollen die Artmuc im vergangenen Jahr besucht haben. Möglich, dass die Resonanz in diesem Jahr ähnlich hoch ist, zumal die Messe um Formate wie die "Artmuc Digital" erweitert wurde.

Organisiert von der Videokünstlerin Betty Mü, soll das digitale Projekt dem Publikum die "Angst vor Videokunst" nehmen. So gibt es neben den interaktiven Spiegeln von Michael Acapulco ein sogenanntes Liebesorakel von Martin Nothhelfer. "Wir sind schon 20 Jahre verheiratet, was will uns da so ein Orakel noch verraten?" fragt einer der Besucher mit einem Augenzwinkern. Trotzdem stellt er sich mit seiner Frau vor die Videoprojektion und steuert über Sensoren eine kleine Kugel, die durch virtuelle Welten fliegt und dabei Hindernissen ausweichen muss. Das "Love Oracle" will die sieben Stufen einer Liebesbeziehung imitieren, von der ersten Verliebtheit bis zur Ernüchterung.

Ähnlich wie die "Artmuc Digital" will auch Galeristin Karin Wimmer "frischen Wind in die Kunstszene" bringen. In Zusammenarbeit mit dem Kuratorenteam "Koordinaten" präsentiert Wimmer fünf junge Künstler auf der Praterinsel. Eine von ihnen ist Bongchull Shin aus Korea. Auf den ersten Blick wirkt der grüne Schriftzug auf ihrer Leinwand, als wäre er mit feinen Pinselstrichen gezeichnet. Doch es sind Glasscherben, sorgsam zu spitzen Dreiecken gebrochen, die aneinander geklebt den Satz ergeben: "Vergiss die Liebe". Gleich daneben steht in der Mitte des Raumes ein hölzernes Gebilde aus kleinen Fünfecken. Aus dem Inneren ertönt ein Klopfen, das entfernt an einen Herzschlag erinnert. Stolz präsentiert Anne Pfeifer ihren Aufbau und freut sich über das Interesse der Besucher.

Auch das Publikum kann selbst immer wieder Teil der Kunst werden. Sei es beim Kollektiv Ohana, bei dem an einem gemeinsamen Kunstwerk gezeichnet wird, oder bei Nue Ammann, deren Arbeit nur funktioniert, wenn die Besucher neugierig genug sind, sich über die vermeintlich leeren Wasserbecken zu beugen, die auf dem Boden stehen. Erst bei genauerem Betrachten ist der Schriftzug erkennbar, der sich im Wasser spiegelt. Die schwarzen Eimer in der Ecke des Raumes gehören hingegen nicht zu Ammanns Installation, sondern sollen das Wasser auffangen, das allmählich durch die Decke tropft. Am Ende des Abends ist der Regen nicht schwächer geworden. Aber was hilft besser gegen schlechtes Wetter als die knallbunte Vielfalt einer Kunstmesse?

Artmuc , Praterinsel, bis 5. Juni, 12-20 Uhr

© SZ vom 04.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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