Kunsthistoriker:Weich wie Holz

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„Sie sollten unter jedes Möbel kriechen“, rät Christoph von Pfeil. (Foto: Jörg Fokuhl)

Christoph von Pfeil begutachtet Möbel auf Messen und sagt im Gespräch: "Perfekte alte Möbel existieren nicht."

Interview von Alexander Hosch

Die Tefaf in Maastricht ist die weltweit wichtigste Messe für Kunst und Antiquitäten. Christoph Graf von Pfeil gehört zu einem Kreis von Möbelexperten, die sich dort treffen. Seit fünf Jahren begutachtet er als Juror jeden Herbst die Händlerkojen auf der Münchner Kunstmesse Highlights in der Residenz, bevor Käufer und Publikum eingelassen werden. Nun spricht Pfeil über das "Vetting", die strenge Begutachtung der Werke auf Messen.

Wie viele Juroren bewerten auf großen Kunstmessen?

Christoph von Pfeil: In Maastricht oder in München sind es etwa 20 bis 25 Experten aus halb Europa. Mindestens je zwei für die Fachgebiete wie Silber, Schmuck, Möbel, Porzellan, Gemälde. Das ist wichtig, damit man sich besprechen kann. Denn die eigene Einschätzung kann ja auch einmal falsch sein.

Was wären Ausschlusskriterien?

Wenn alle zwei oder drei Spezialjuroren Zweifel haben, dann wird es ernst.

Dann fliegt das Stück raus?

Im Prinzip ja.

Wie oft passiert das?

Nicht oft. Wenn ich es beziffern soll: Wir haben an weniger als einem Prozent der Möbel etwas auszusetzen. Kunsthändler sind auch nur Menschen, die noch dazulernen. Einmal hat mir einer ein Foto eines kleinen Spieltisches geschickt, da dachte ich: Donnerwetter, das stammt aus Ansbach. Als ich dann das Rokokomöbel im Original sah, war klar: Die Beine und die Zargen sind wirklich von 1740/1745. Die Platte dagegen war gut 150 Jahre jünger. Durchaus qualitätvoll nach französischen Kupferstichen gearbeitet und von sehr guten Graveuren gemacht. Aber weder war sie fränkisch, noch gehörte sie ursprünglich auf diesen Tisch.

Was passiert in so einem Fall?

Der Händler muss für die Interessenten deutlich kundtun, dass es sich um Möbelteile aus zwei Epochen handelt. Oft sinkt dann der Preis.

Sind alle Jury-Experten Kunsthistoriker?

Nein - für die Highlights etwa teile ich mir die Begutachtung der Holzmöbel mit einem Restauratorenkollegen. Ich selber habe nach dem Abitur eine Schreinerlehre gemacht. Später studierte ich Kunstgeschichte. Nach der Promotion war ich vier Jahre in Karlsruhe, bei der Schlösser- und Seenverwaltung Baden-Württemberg. Danach habe ich lange Zeit in München gearbeitet - mit Sitz im Schloss Nymphenburg. Ich war dort mehr als 25 Jahre für bayerische, vor allem fränkische Schlösser und für ihre Möbel zuständig. Mein Fachgebiet war immer das Material Holz.

Waren Sie für den Einkauf zuständig?

Es ging eher um Rückkauf. Schlösserverwaltungen sind - anders als Museen - vor allem daran interessiert, Originalmöbel zurückzubekommen, die einst etwa über Erbschaftsregelungen in den freien Markt gelangten. Königsmöbel aus den Schlössern der beiden Ludwige etwa.

Angenommen, jemand kündigt für eine Messe ein besonderes Möbel von David Roentgen an - mit Trickschubladen und Geheimfächern. Wird der Juror da besonders wachsam?

Roll-Bureaus von Roentgen waren früher sehr selten. Dafür wurde bis zu einer Million Mark bezahlt. Nach 1990 tauchten viele Stücke auf, vor allem aus dem Osten. Heute kriegen Sie so etwas schon für 100 000 Euro.

Roentgen hatte eine riesige Werkstatt. Roentgen hat unendlich viele Schreibtische, Roll-Bureaus, Wochenkommoden, Standuhren zu hohen Preisen hergestellt und bis nach Paris und Petersburg ausgeliefert. Kein Wunder, dass noch so viel da ist. Seine Werkstatt hatte bis zu 250 Mitarbeiter. Es gab Zulieferbetriebe wie in der Autoindustrie - etwa für Metalle, Schlösser, feuervergoldete Bronzeschuhe. Da gibt es oft Unsicherheiten. Dann ist zu diskutieren, ob es nicht das Erzeugnis eines Schülers ist. Man kennt deren Arbeiten inzwischen besser als vor 20 Jahren.

Wie viel Zeit haben Sie für das Vetting?

Etwa fünf Stunden. Das hat noch immer gereicht.

Gibt es überhaupt noch so viele Möbel auf den Messen?

Alte Möbel bringen nicht mehr so viel Geld. Da hat sich der Schwerpunkt in der Tat verschoben - die Mode geht in Richtung der Fünfziger- bis Neunzigerjahre. Auf den Highlights stellten früher mal acht Möbelhändler aus, im vergangenen Jahr waren es nur noch drei. In Maastricht ist das aber noch anders. Denn da gibt es viele, die Art-déco-Mobiliar von 1925 oder 1940 anbieten. Die erzielen immer noch hohe Preise.

Sind die Händler dabei, wenn die Gegenstände beurteilt werden?

Nein. Es sind nur mein Kollege und ich im Raum, manchmal jemand von der Messeleitung.

Welche Anfängerfehler machen Händler, die sich zum ersten Mal bewerben? Gibt es viele überrestaurierte Möbel?

Reichlich. Aber völlig perfekte alte Möbel existieren nicht. Das ist unser Vorteil. Größere Holzmöbel, die 150, 200 oder 300 Jahre alt sind, haben allesamt historische Verletzungen - Schrammen, Dellen, oder Risse. Denn sie mussten Kriege überleben, umziehen, mal der Kälte, mal der Wärme trotzen. Holz ist weich und verletzlich. Bronzeskulpturen können solche Zeiträume makellos überleben.

Worauf achten Sie sonst noch? Fehlerhafte Zuschreibungen? Zweifelhafte Provenienzen? Falsche Zeitangaben?

Händler sind auch nur Menschen. Einmal hat einer eine sündteure, prachtvoll geschnitzte Konsole auf einer Auktion gekauft, weil er sie für ein Werk eines Hofarchitekten hielt. Ich musste ihm dann sagen, dass das kein echtes Rokoko ist, sondern ein Möbel aus einer Neo-Periode 130 Jahre später. Auch sehr schön und besonders, sogar mit königlicher Provenienz. Aber vielleicht 60 000 Euro wert anstatt der erhofften 2 Millionen.

Was hat er gemacht?

Er konnte die Konsole zum Glück an den Versteigerer zurückgeben. Ich sehe dieses Möbel seither immer wieder im Handel auftauchen, manchmal falsch datiert, manchmal richtig. Mit spätem 19. Jahrhundert lässt sich kaum etwas verdienen.

Was raten Sie Nachwuchskäufern, die noch keine Experten für ältere Möbel sind, aber nicht über den Tisch gezogen werden wollen?

Sie sollten unter jedes Möbel kriechen, bei dem sich die Gelegenheit bietet: Wie es verarbeitet wurde, ob es Veränderungen oder Ausbesserungen gab. Wie Laufleisten angebracht oder wie Schubladen erneuert wurden. So lernt man mit der Zeit, wie das im 18. Jahrhundert aussah, und wie es dann später gemacht wurde. Und man findet heraus, was einen stört und womit man leben kann.

© SZ vom 09.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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