Kunstforum-Ausstellung:Der Fallensteller

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Aktuell zeigt Daniel Spoerri sein Lebenswerk

Von Sabine Reithmaier, Regensburg

An einem Abend im Jahr 1960 saß Daniel Spoerri mit Künstlerfreunden in Paris zusammen. Es wurde gegessen, diskutiert und viel geraucht. Spoerri wollte das Treffen festhalten, dem "Augenblick eine Falle stellen", wie er es später nannte. Er fixierte deshalb sämtliche Gegenstände - verklebte Gläser, leere Verpackungen, schmutzige Teller - so wie sie auf der Tischplatte standen oder lagen, montierte dem Tisch die Beine ab, erklärte das Ganze zum Kunstwerk und verkaufte es einem Sammler als "Tafelbild" zum Aufhängen. Diesem Geniestreich, der ihn in alle großen Museen der Welt bringen sollte und berühmt machte, folgten viele weitere Fallenbilder. Verständlich also, dass die große Spoerri-Retrospektive im Kunstforum Ostdeutsche Galeriegleich den ersten der elf inhaltlich gegliederten Räume mit den "Tableaux pièges" eröffnet.

Anlass der sehenswerten Ausstellung ist der Lovis-Corinth-Preis, mit dem der in Rumänien geborene Schweizer 2016 ausgezeichnet worden ist. Seit 2006 lobt das Kunstforum diesen Preis im Zweijahresrhythmus aus. Verliehen wird er für das Gesamtwerk eines Künstlers, der entweder aus Osteuropa stammt - wie der Namensgeber Lovis Corinth, der 1858 im ostpreußischen Tapiau, heute Gwardeisk in Russland, geboren wurde - oder dessen Werk zur osteuropäischen Gegenwartskunst zählt.

Spoerris Provokation wirkt immer noch gut. Ihm ging es vor 55 Jahren weniger um Provokation. Er habe, sagte er in einem Interview, an Kasimir Malewitsch, an Formen und Kreise gedacht, die sich auf einer Fläche bewegen. Ihn, den Tänzer und Nicht-Maler, interessierte, wie sich die Ordnung des gedeckten Tischs in einer unbewussten Unordnung auflöst. Fallenbilder macht er noch immer, für die jüngsten, die ebenfalls zu sehen sind, ließ er sich von den Ständen am Wiener Naschmarkt inspirieren.

Daniel Spoerri inmitten seiner Kunst. (Foto: Barbara Räderscheidt, Köln)

1967 fiel ihm in einer schlaflosen Nacht in New York der Begriff "Eat Art" ein. Eines seiner berühmten Bankette, mit denen er die Wechselwirkung zwischen Kunst und Leben zu inszenieren versuchte, fand sogar 2002 in den Räumen der Ostdeutschen Galerie statt. Spoerri verdrehte die Reihenfolge des achtgängigen Menüs und servierte erst den Nachtisch und zum Schluss die Suppe, was die Gäste angeblich sehr überraschte. Die skurrile Assemblage, die an das Ereignis erinnert, findet sich auf einem mit Fischgräten und Federn bedruckten Leinentuch wieder; als Vorlage nutzte Spoerri einen römischen Mosaikfußboden aus dem ersten Jahrhundert vor Christus.

Spoerri ist vor allem ein leidenschaftlicher Sammler - daran lässt die Ausstellung mit ihren verschiedenen thematisch gebündelten Werkgruppen nicht den leisesten Zweifel. Egal ob es sich um Collagen aus alten bestickten Spruchtüchern handelt - er schneidet die Wörter aus und setzt sie zu gewitzten "fadenscheinigen Orakeln" neu zusammen - oder um Waschbretter, auf denen ein gieriger Piranha Porzellanpüppchen verschlingt, oder um Assemblagen auf Ölgemälden, auf denen sich geile Biber und gerettete Wiesel tummeln, sein Prinzip ist immer gleich: Er reagiert auf Vorgefundenes und stellt es in neue Zusammenhänge, erzählt mit seinen Gegenständen Geschichten. Meist mit Hintersinn, oft sehr schräg, manchmal aber auch mit einem herben Ton wie in "dulce et decorum est pro patria mori". Dort hat er vor einem geharnischten Bannerträger allerlei spitzzinkiges Arbeitsgerät platziert, Sicheln, Mistgabeln, Lanzen - süß ist der Tod so bestimmt nicht.

Auf der ägäischen Insel Symi, auf die er sich 1966 für ein Jahr zurückzog, um den Rummel in Paris zu entgehen, gab es für ihn fast nichts zu sammeln. Geschirr aufzukleben und es damit unbrauchbar zu machen, ging in der armen Gegend nicht. Also musste sich Spoerri etwas anderes einfallen lassen; er arrangierte seine Fundstücke - Stacheldraht, Blechdosen, Reste von Fischernetzen, Knochen - in den "Zimtzauberkonserven" nach eigenem Empfinden, nicht mehr nach der Ordnung des Augenblicks, und schuf so ganz eigene, stille, poetische Werke.

Spoerris Bronzeskulptur der "Marstaucher" aus dem Jahr 2008. (Foto: VG Bildkunst 2016)

Im großen Saal starren die Prillwitzer Idole den Betrachter an. Spoerri hatte vor vielen Jahren bei einem Kölner Antiquar das 1771 herausgegebene Buch mit den Kupferstichen dieser kleinen Bronzegötter entdeckt. Die Figuren galten 1768, als sie auf dem Schlossberg in der Nähe von Prillwitz (Mecklenburg -Vorpommern) ausgegraben wurden, als archäologische Sensation. Angeblich waren die eingravierten Runen "wendisch", angeblich ließ sich das Wort "Rethra" entziffern, eine sagenumwobene, bislang nicht lokalisierte Tempelburg, von der aus 983 die slawische Priesterschaft zum Feldzug gegen die Christen aufgerufen haben soll. Zweifel an der Echtheit des Funds wurden nicht zugelassen; Prinz Carl von Mecklenburg kaufte die "gottesähnlichen Alterthümer der Obotriten", so auch der Titel des Buchs, und stellte sie als "Heilige von Rethra" in Ratzeburg aus, unterstützte die Herausgabe des Buchs mit den Kupferstichabbildungen. 1850 entlarvte der Altertumsforscher Friedrich Lisch die Götter als plumpe Fälschungen. Sie verschwanden in der Versenkung, bis Spoerri das Buch im Antiquariat fand. Die püppchengroßen Figuren, die ihn an art-brut erinnerten, inspirierten ihn 2005 zu monumentalen bronzenen Assemblagen, geschaffen aus Versatzstücken der Wegwerfgesellschaft. Eine beeindruckende Gesellschaft.

Ein wenig schade ist es schon, dass man auf dem "Santo Grappa" nicht sitzen darf. Der Holzstuhl mit dem großen Ochsenschädel, Spoerris erste Bronzearbeit aus dem Jahr 1969/70, stellt für den Künstler eine Art Beschwörung dar. "Ich trank in jener Zeit zu viel, viel zu viel", erinnerte er sich 1986. Um das Monster, den italienischen Schnaps Grappa zu bezwingen, beschloss er, den Geist in Bronze zu fixieren und an einem bestimmten Ort zu bannen. "Erst dann konnte ich das Trinken aufgeben. Was ich auch tat."

Daniel Spoerri. Das offene Kunstwerk, bis 26. Februar, Kunstforum Ostdeutsche Galerie.

© SZ vom 15.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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