Kunst aus Korea:Cunnilingus in Korea

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Hier werden Träume wahr oder auch nur Scherze gemacht: Eine Reise zu Internetkünstlern in Seoul, die jetzt in Berlin ausstellen.

WERNER BLOCH

Wer die Webadresse yhchang.com anklickt, der fühlt sich vielleicht auf eine Porno-Seite umgeleitet. Und doch gibt es hier unter dem Angebot mit dem Titel ¸¸Cunnilingus in Nordkorea" nichts Schlüpfriges zu sehen, nicht einmal Bilder, sondern nur Text. ¸¸Cunnilingus in Nordkorea" stammt aus der Werkstatt des Künstlerpaares Marc Voge und Young-Hae Chang, die unter dem Logo ¸¸Young-Hae Chang Heavy Industries" (YHCHI) von Seoul aus Internet-Kunst in sieben verschiedenen Sprachen produzieren. Schon der Name ist Ironie. Denn die beiden Künstler haben nichts mit Schwerindustrie zu tun, sondern bewegen sich in den freien Strömen des Internets, ein Virus im System, eine heimtückische Schwachstelle im Wirtschaftswunderland Südkorea.

"Sleeping Beauty" von Jung Yeondoo aus der Serie "Wonderland", 2004 (Foto: Foto: Katalog)

¸¸Sehen Sie die Türme?", fragt Marc Voge und deutet auf die Wolkenkratzersiedlungen südlich des Han-Flusses, der Seoul teilt: ¸¸Das ist der koreanische Traum." Gerade hat Samsung wieder eine 76-stöckige Betonwabe hochziehen lassen. Südkorea ist noch immer konfuzianisch geprägt, Individualität spielt keine Rolle, Führungskräfte werden mit 36 in den Ruhestand versetzt, weil sie als ausgebrannt gelten.

YHCHI zerstampfen Sprachregelungen und Tabus - was manchen erbittert: Fast täglich gehen Hassmails ein und Drohungen, es könne den beiden eines Tages etwas zustoßen. ¸¸Cunnilingus in Nordkorea" entlarvt die Verlogenheit der offiziellen Politik. Nordkoreas ¸¸geliebter Führer" Kim Jong-Il gilt vielen im Süden nicht mehr als Monster, sondern als sensibler, wenn auch etwas unberechenbarer Herrscher über den sozialistischen Fortschritt. In dessen Genuss - so die Message, die der ¸¸liebe General" Young-Hae Chang angeblich Heavy Industries im Netz zu ¸¸präsentieren" bat - sollen vor allem die nordkoreanischen Frauen kommen. Ihnen werde bisher nie dagewesene Lust bereitet, wodurch die Dialektik von Sex und Geschlechtszugehörigkeit aufgehoben und überhaupt die Überlegenheit des Nordens über den südkoreanischen Nachbarn hinreichend unter Beweis gestellt werde. Nordkorea als Garten der Lüste - das muss in einem scheuen Land wie Südkorea, wo sich Paare auf der Straße nicht einmal berühren dürfen, hochprovokativ wirken.

¸¸Cunnilingus in Nordkorea" ist Internetkunstwerk ohne Bilder, dafür mit blinkenden Sätzen zu computergenerierter Musik.

¸¸Wir brauchen keine Bilder, zum Teufel damit", sagt Marc Voge. Jeder tue so, als sei das Internet eine Art Fernsehen, was dieses aber grundsätzlich nicht sein könne. Internetkunst ist in der Tat meist benutzerfeindlich und schwer konsumierbar. Stattdessen haben Young-Hae Chang Heavy Industries ein Verfahren entwickelt, das bei ISDN-Standard eine maximale Auflösung garantiere. ¸¸Das ist die Poesie der Zukunft", glauben sie.

Derzeit sind YHCHI in Berlin zu sehen - zusammen mit drei anderen koreanischen Gegenwartskünstlern in der Ausstellung ¸¸Four from Korea", die in der Ostasienabteilung der Staatlichen Museen gezeigt wird. Gemein ist allen das Bedürfnis, stromlinienförmige soziale Prozesse zu unterlaufen - oder, besser noch, zu erfüllen. Der Fotograf Jung Yeondoo zum Beispiel stellt die kühnsten Menschheitsträume nach ¸¸Dreams come true, almost" oder kitschige Märchenwelten mit Rüschen und Schleifen.

Aber kaum ein anderer Künstler erreicht die Macht, die Heavy Industries so spielerisch im Netz entfalten. Das beginnt schon mit dem Szenario eines nordkoreanischen Angriffs auf Seoul. Offiziell ist der Koreakrieg nicht beendet, es herrscht ein Waffenstillstand. Young-Hae Chang und Marc Voge haben die nordkoreanischen Angriffspläne, die auf der CIA-Webseite öffentlich im Netz stehen, in einer Internetperformance umgesetzt und mit Texten von W.G. Sebald über die Bombenangriffe auf Hamburg gekreuzt. Seoul, nur vierzig Kilometer südlich der Demarkationslinie, wäre das erste Opfer eines Krieges, dessen Option nach den Worten der US-Regierung ¸¸auf dem Tisch liegt". 40 Prozent der Hauptstädter würden die ersten 24 Stunden eines Angriffs nicht überleben. ¸¸Wir wollen Leuten wie Präsident Bush klar machen, welch unermessliches Leid ein Angriff auf Nordkorea nach sich ziehen würde", sagt Voge. Heavy Industries gehen auch in den Clinch mit der eigenen Regierung, die seit der ¸¸Sonnenscheinpolitik" Kim Dae-jongs den Konflikt mit Nordkorea herunterspielt. Niemand in Seoul spricht mehr gern davon, dass sich

nach wie vor an der ¸¸Demilitarisierten Zone" 1,5 Millionen Soldaten gegenüberstehen. Zweimal haben Heavy Industries den internationalen Webby-Award errungen. 2003 vertraten sie ihr Land auf der Biennale von Venedig. Dabei greifen sie auch das allmächtige Kunstkartell der Industrie an. Südkoreas Kunstwelt ist Leibeigene der Konzerne, Samsung, LG und Daewoo betreiben Museen im Zentrum von Seoul. Ein Top Dog des koreanischen Business wird im Samsung-Hospital geboren, besucht den Samsung-Kindergarten und die Seoul National University, die von Samsung gesponsert wird, arbeitet für Samsung, wird im Samsung-Krematorium verbrannt und in einem Grab beerdigt, das von einem Samsung-Bagger ausgehoben wurde, sagt Voge: ¸¸Da kann man nur entweder mitmachen oder nicht." Seine Option ist klar: Das Internet ist die einzige freiheitliche Alternative.

Four from Korea, Museum für Ostasiatische Kunst, Berlin, bis 20. November, Tel: 030-8301 382, Der Katalog kostet 12 Euro.

© Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.259, Donnerstag, den 10. November 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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