Kulturreport:Die Verweigerung des Traums

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"Manual Kant" aus Landshut zeigt, dass Musik auch ohne gängige Strategien funktioniert

Von Rita Argauer, München

In Bands zu spielen hat auch viel mit Träumen zu tun. Man träumt von Erfolg, von Alltagsflucht und einem etwas außergewöhnlichen persönlichen Werdegang. Für die Landshuter Band Manual Kant hätten sich ein paar dieser Träume in den vergangenen Jahren fast erfüllt. Doch der Umzug in die Hauptstadt, Rückenwind und Förderung vom BR-Jugendformat "Startrampe" und eine gut finanzierte Produktion des Debüt-Albums zerschlugen sich. Zurück auf dem Land, legt die nun zum Trio geschrumpfte Band mit dem neuen Album "Der Kanten Die Gier" eine völlig konträre Haltung zur Traumerfüllung vor. Und darin liegt ein Vorschlag, der für neuere Popmusik und deren Vermarktung angesichts der völlig industrialisierten Traumerfüllungsmaschinerie so erfrischend wie wegweisend ist.

Manual Kant verweigern sich allem, was das Pop-Geschäft seinen Protagonisten so vorschreibt: einem Label, einem einheitlichen Release-Termin, dem Versuch, Geld für die eigene Kunst zu bekommen und einer zielgerichteten Kommunikation, die das Produkt einer potenziellen Zielgruppe zu kanalisieren und einheitlich vorzustellen weiß. Dieses Produkt hatte bei Manual Kant vor einigen Jahren einen nicht zu unterschätzenden Wert. Denn die Musik des Quartetts war damals rau, aber nicht unzugänglich, aufreibend, etwas provokant, aber nicht zu aggressiv. Sänger und Bassist Malte Borgmann vertextete Alltagstristesse und Jugendrebellion in schlauen Wortspielen auf Deutsch. Die Band spielte groovenden Stonerrock, der nicht ganz so schwer und brachial war wie der ihrer Vorbilder aus den Neunzigern, und Borgmanns samtig-echauffierte Stimme hätte auch gut an die Sänger-Position einer deutschen Indie-Popband gepasst.

Das Debüt-Album erschien 2012. Schön produziert auf Richard Mohlmann Records, es hieß dazu passend "Applaus". Manual Kant hätten damals die Indie-Variante von Kraftklub werden können: Musik für unzufriedene Teenager, die mit dem US-Bubblegum-Pop genauso wenig anfangen konnten wie mit der ironisch verquasten Neuauflage der Hamburger Schule. Der im Albumtitel prophezeite Applaus versprach sich auch einzustellen - etwa als sie über den BR unter anderem beim "New Music Award" in Berlin oder beim Festival-Giganten "Rock im Park" auftraten und eine Support-Tour für die damals ziemlich erfolgreichen niederbayerischen Kollegen von Frittenbude spielten.

Warum sich die Band kurz nach der Veröffentlichung zerschlug und fast auflöste, warum die beiden Gitarristen Christian Auer und Ludwig Staudinger ausstiegen und warum die damalige Single "Die aschfahlen Mädchen" durch das Wegbrechen der Band kein Hit werden durfte (das Zeug dazu hätte der Brecher-Song, der Groove und Indie-Zugänglichkeit, ein bisschen Dunkelheit, kluges Songwriting und Derbheit vereinte, gehabt), dazu äußerten sich die übrig gebliebenen Splitter der Band nicht. Die zogen sich lieber als Trio mit neuem Gitarristen zurück in die Provinz und schrieben Musik, der man anhört, dass sie die vermeintliche Traumerfüllung von Schülerbands schon erlebt hat.

Das neue Mini-Album enthält sieben Songs. Der einzige Titel darauf, der aufs erste Hören und aufs erste Lesen verständlich ist, ist recht programmatisch: "Halt meine Haare, ich muss kotzen." Sonst begegnen einem darauf Songs wie "Zlatan", "DGF-CJ" oder "Mingarish". Letzteres deutet in seiner Bairisch-Englisch-Melange darauf hin, dass die übrig gebliebene Band ihren Lebensmittelpunkt mittlerweile von Berlin und Landshut nach München verlegt hat. Die dazugehörige Musik ist das Gegenteil jener Hit-Maschinerie, die im aktuellem Album "This Is Acting" der Australierin Sia ihren bisher pervertiertesten Ausdruck fand.

Statt Musik, die mindestens alle sieben Sekunden einen neuen Höhepunkt braucht und de facto nur noch aus Refrains besteht, lassen Manual Kant ihrem immer noch feinen Gespür für popmusikalische Impakte Zeit. Eine Art verkiffter Deutsch-Indie-Hip-Hop-Stoner-Rock ist das. Und dass es mit Genre-Zuordnungen dabei so schwierig wird, zeigt, wie gut es einer talentierten Band tut, wenn sie nichts mehr zu verlieren hat. Manual Kant halten sich an keine Regeln mehr. Doch man merkt, dass sie die Regeln, die sie brechen, sowohl künstlerisch als auch wirtschaftlich und strukturell gut kennen gelernt haben. Nun vermischen in völliger wirrer Kiffer-Logik die Insignien aktueller Popmusik. Es wirkt, als würden sie mit dieser Haltung ihren alten Managern und all den Menschen, die ihnen den großen Erfolg prophezeiten, eins auswischen wollen. "Wenige Bands wehren sich so sehr gegen ihr Potenzial wie Manual Kant", sagt BR-Redakteur und Musiker Florian Kreier.

"Wir finden, es gibt wenig Traurigeres als so stillose Anbiederei, so gut-gelauntes Rumkumpeln, wohinter sich im Grunde die nackte Verzweiflung verbirgt. Und bald 30 sind wir obendrauf auch noch, mit arthritischen Rentnergelenken funktioniert das mit dem Trendhopping einfach nur noch so semi-gut", erklärt Sänger Borgmann, wenn man nach dem Grund der Total-Verweigerung fragt. Und die Antwort hält er im gleichen Stil aus lakonischem Witz und pathetischem Ernst bereit, den auch die Musik hat.

Doch diese Verweigerung gibt der Band und ihren Zuhörern einen anarchischen Unterhaltungswert, der sich nun auf völlig unerwartete Weise auszahlt. Das Album veröffentlichten sie natürlich kostenlos im Netz. Dass aber eine ganz beträchtliche Menge an Hörern die Band im Nachhinein fragte, ob man den Musikern nicht Geld dafür überweisen könnte, ist ungewöhnlich. Also entschlossen sie sich, nachträglich eine Album-Release-Show zu spielen - weil der renommierte Münchner Veranstalter Clubzwei sie dazu überredete. Das letzte Mal, dass die Business-Verhöhnung die Popmusik maßgeblich weitergebracht hatte, war zu Zeiten des Grunge-Hypes Anfang der Neunzigerjahre. Die Haltung von Manual Kant könnte Vorbote für eine zeitgenössische Variante davon sein.

Manual Kant , nachgezogene Album-Release-Show, Samstag, 30. Januar, Milla, Holzstr. 28

© SZ vom 30.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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