Kulturaktion:Pures Phantasma auf rotem Samt

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Abtauchen in die Welt der Oper – das ermöglicht die Stuhl-Tour, die hier im Foyer der FC-Bayern-Erlebniswelt Station macht (dort wieder am 30. Juli). (Foto: Stephan Rumpf)

Zu ihrem 100. Geburtstag lädt die Bayrische Staatsoper in eine virtuellen Welt und stellt einen Sessel nach draußen

Von katharina rustler, München

Da oben, wo die Bühne ins Grenzenlose wächst, wo sie mal Sternenhimmel, mal Zimmerdecke, mal Häuserdach ist. Dort, wo ihre technischen Kapazitäten versteckt sind und unter gekonnter Führung Illusionen komponiert werden - eben dort hängt man plötzlich. Oder schwebt, besser gesagt. Auf einem Opernsessel aus rotem Samt. Sieht man nach rechts, ist da der Tenor Pavol Breslik, der in Donizettis Oper "L'elisir d'amore" als Nemorino einen meterhohen Masten erklommen hat, sich mit einer Hand daran festhält und die andere dramatisch in die Luft reißt. Seine Stimme hallt durch den Saal. Hat er mir eben zugezwinkert? Die Bühne ist leer und nur der empor gehobene Blick von Giannetta, die von Paula Iancic gespielt wird, ist in der Dunkelheit auszumachen. Danach tosender Applaus, glitzerndes Konfetti segelt zu Boden. Dann Aus.

Plötzlich grelle Leuchtreklamen, Kindergeschrei, pralle Einkaufstüten. War man nicht eben noch in der Bayrischen Staatsoper? So findet man sich auf einmal im Olympia-Einkaufszentrum zwischen Ausverkauf bei Zara und Caramel Macchiato von Coffee Fellows wieder. Der Orchestergraben des Königssaals und die Loge, die man sich eben noch mit Mezzosopranistin Elina Garanca und dem höflich zunickenden Intendanten Nikolaus Bachler teilen durfte, waren nicht echt? Fast.

Denn der etwa dreiminütige Ausflug in das Münchner Opernhaus ist virtuell. Eine Aktion, die zum hundertjährigen Jubiläum der Bayrischen Staatsoper unter dem Motto "Geliebt. Gehasst" noch bis Ende Juli an unterschiedlichen Orten in München, wie unter anderen vor der Ludwig-Maximilian-Universität, am Gärtnerplatz, in der Allianz Arena oder am Tollwood angeboten wird. Dazu nimmt man einfach auf dem samtenen Original-Opernsessel Platz und setzt eine Virtual-Reality-Brille auf. Durch diese hindurch geblickt, eröffnet sich eine Welt in 360 Grad: Mit Ballettproben von Star-Choreograf Dustin Klein, mit Jonas Kaufmann auf der Bühne und dem Fisch im Frack aus "Hänsel und Gretel" im Publikum. Zusätzliche Kopfhörer komplettieren die musikalische Phantasmagorie auch akustisch.

"Ich geh ja lieber ins Stadion", sagt ein Mann lachend, als er von dem roten Sessel im Einkaufszentrum aufsteht. Trotzdem muss er gestehen, dass die Stimmung bei dem fiktiven Rundgang ebenso toll war, wie bei einem Fußballspiel. Trotzdem ist er sich nicht ganz sicher, ob er nicht doch zu jung für die Oper sei. Auf genau diese Ambivalenz will die Aktion der Staatsoper wohl aufmerksam machen und Oper so in die Öffentlichkeit holen. Denn der evozierte Kontrast zwischen der stereotypen Vorstellung, Oper sei etwas Veraltetes und der neuen Technologie der virtuellen Realität scheint auf Resonanz zu stoßen.

Das Publikum reagiere total unterschiedlich, erzählt eine Mitarbeiterin, die einige Opernstuhl-Stationen in der Stadt betreut, wie auch die in der FC Bayern Erlebniswelt. Viele Besucher seien einfach neugierig, haben aber keinen direkten Bezug zur Oper. "Vor allem hier werden Erstkontakte geschaffen." Die Mutter eines kleinen Mädchens, das sich eben auf den Opernstuhl gesetzt hat, beobachtet das Ganze noch aufgeregter als ihre Tochter - in der echten Oper seien sie noch nie gewesen. Dass diese meistens zu kostspielig sei, nennen viele Menschen, die an den Stationen in der Stadt anzutreffen sind, als Grund, wieso sie eher selten Vorstellungen besuchen. Obwohl sie sich durchaus für Oper interessieren. Meistens lohne es sich aber doch, meint ein junger Mann schnell.

Begeistern sich vor dem Fanshop in der Allianz Arena primär Kinder in Trikots mit signierten Fußbällen unterm Arm für die Opern-Aktion, so sind es am Max-Joseph-Platz vor dem tatsächlichen Nationaltheater, hauptsächlich Touristen. Zwei Jugendliche beschreiben das Gesehene mit den Worten "cool" und "wow" und bedanken sich. Dass sie die Opernsänger und Balletttänzer aus dem Video nicht erkennen, mache nichts, meint ein Mitarbeiter vor Ort. Die Idee des Opernstuhls sei einerseits totale Opernfans, die das gesamte Programm kennen und andererseits komplett Ahnungslose anzusprechen. "Herr Kaufmann!", ruft ein älterer Mann begeistert, als er den virtuellen Film in der Einkaufspassage ansieht. Er gehe regelmäßig in Vorstellungen und höre sich danach gerne seine Lieblingslieder auf Youtube an. Für ihn ist "Oper immer ein Traum", auch wenn sie nicht ganz real ist.

Geliebt. Gehasst und 360° , bis Di., 31. Juli, diverse Orte, staatsoper.de/geliebtgehasst

© SZ vom 23.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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