Am Anfang, 1983, als die Künstersozialkasse installiert wurde, machten sich selbst Kunstschaffende über sie lustig. Nicht anders als Willy Brandts Hohn über Verfassungsfeinde als Beamte - was ist grotesker als ein Revolutionär mit Pensionsanspruch? - spottete man, die neue Sozialkasse kreiere den lachhaften Künstler mit Rentenansprüchen, der mit 65 erlöst Meißel, Feder oder Dirigentenstab fallen lasse.
Doch eben weil derlei bohemienhafter Hochmut nicht vor dem Fall in die Krankheits- und Altersarmut schützt, gibt es die Künstlersozialkasse. Das Bedürfnis nach bürgerlicher Absicherung hat sich unter den freien Künstlern und Publizisten inzwischen - wenn auch mit dem Nachdruck gesetzlicher Pflicht - durchgesetzt, der segensreiche Zweck ist anerkannt, die Mitgliederzahl explodiert. Zur Zeit sind es rund 160.000. Und das kostet echtes Geld, das die Künstler nur zur Hälfte aufbringen; die andere Hälfte teilen sich die verwertende Wirtschaft (30 Prozent) und der Staat (20 Prozent).
Nun aber will die deutsche Wirtschaft nicht mehr mitspielen, ja sie will die Künstlersozialkasse gänzlich abschaffen. In einem Brief der Geschäftsführung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages fordert sie: "Die Wirtschaft hat ordnungspolitische Bedenken bezüglich der Konstruktion der Künstlersozialkasse ... Sie ist insgesamt unsystematisch und bürokratisch. Sinnvoll wäre es daher, diese Sonderform einer Sozialversicherung mittelfristig nicht weiter fortzuführen."
Die Wirtschaft hätte, wenn es ihre Absicht ist, Öl ins Feuer zu schütten, den Zeitpunkt nicht besser wählen können. In der aktuellen Diskussion um soziale Gerechtigkeit wirkt die Forderung nach Abschaffung der Künstlerkasse wie ein gezielter Tiefschlag. Er trifft eine Einkommensgruppe, die trotz ihres stolzen Selbstbildes einer gewollten Außenseiter- und Kreativexistenz zu den wirtschaftlich und sozial Deklassierten des Landes gehört. Allein die Zahlen verraten schiere Erbärmlichkeit. Das durchschnittliche Einkommen aller versicherten Künstler und Publizisten liegt derzeit unter 1000 Euro brutto im Monat.
Und keiner weiß um die elende Lage besser als die verwertende Wirtschaft, die ja die Honorare zahlt. Abgesehen davon hat eben erst, am 11. November, die Enquetekommission des Bundestages "Kultur in Deutschland" ihren großen Abschlussbericht vorgelegt, der noch einmal in detaillierter Ausführlichkeit die Einkommensverhältnisse der freien Kulturschaffenden darstellt.
Jedem, der die Zahlen zur Kenntnis nimmt, ist klar, dass alle Kunst, mit der Kulturschaffende ihr Brot verdienen, verblassen muss gegenüber der so genannten Lebenskunst dieser marginalisierten Kreativhelden - Lebenskunst ist hier der Euphemismus für einen verlustreichen Lebenskampf zwischen poetischem Höhenflug und trivialer Überlebenssorge.
Symbiotisches Verhältnis
Nun hat die Wirtschaft, die für die freien Kulturschaffenden zur Kasse gebeten wird, in der Tat mit dem Argument recht, dass sie systemwidrig in Anspruch genommen wird. Alle anderen freien Berufe - Ärzte oder Anwälte etwa -, die ebenfalls eigene Sozialkassen unterhalten, werden ausschließlich von den Freiberuflern selbst finanziert. Im Prinzip ist die Künstlersozialkasse der Versicherung von Angestellten nachgebildet, bei der sich die Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Beiträge teilen. Die verwertende Wirtschaft wird also mit ihrem 30-Prozent-Zuschuss behandelt, als ob sie Arbeitgeber unselbständiger Künstler wäre, obwohl das Gegenteil der Fall ist.
Doch wenn einer diesen Regelverstoß am wenigsten beklagen sollte, dann die Wirtschaft. Ihr unmittelbarer Anlass der Abschaffungsforderung ist sowieso nur ein schlichtes Kalkül. Seit Juli dieses Jahres werden alle einschlägigen Unternehmen des Landes daraufhin überprüft, ob sie ihrer Zahlungspflicht nachkommen. Offenkundig zahlt nur ein Bruchteil der verpflichteten Betriebe ihre Abgabe an die Künstlerkasse. Und da die Prüfer nicht nur flächendeckend vorgehen, sondern auch befugt sind, die letzten fünf Jahre einzubeziehen, kommen auf viele Unternehmen tatsächlich schmerzhafte Zahlungsforderungen zu.