Künstlerduo Allora & Calzadilla:Foltern mit Springsteen

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Ohrensausen und Kopfschmerzen: Das Künstlerduo Allora & Calzadilla erforscht in München das kriegstreibende Potential der Musik.

Eva Karcher

Der Klang ist unbeschreiblich. Vor allem unbeschreiblich laut.

Tönender Bunker: Allora & Calzadilla, "Sediments Sentiments ( Figures of Speech)", 2007. (Foto: Foto: Wilfried Petzi / Courtesy The Artists & Kunstverein München)

Einen hysterischen Sopran zerschmettert ein dröhnender Bass; noch während eine Tuba mit sonorer Tiefe zu dämpfen versucht, prasseln Schlagzeugstöcke auf Trommeln, ein Becken klirrt, eine Posaune plärrt und dann, für Sekunden nur, schrauben sich die optimistisch hohen Töne einer Trompete in die Höhe mit einer Melodie, die wohl jeder irgendwann gehört hat: taratarataratata - "Reveille", "get up", steh auf - Töne, die unzählige Soldaten, vor allem der US-Truppen, bei Sonnenaufgang aus ihren Träumen scheuchen.

In den Räumen des Münchner Kunstvereins vermischen und überlagern sich diese Töne, schwellen an bis zum Ohrensausen, verdrängen sich gegenseitig und verfließen irgendwann in einer bombastischen Kakophonie aus Rhythmus und Lärm, die den Körper durchdringt, bis er sich dem Krach schließlich mit einem eigenen Geräusch widersetzt - und schallend lacht.

Dass dieser Augenblick jedem widerfährt, der lange genug zwischen den drei Skulpturen von Jennifer Allora und Guillermo Calzadilla hin und hergeht, das wünschen sich die beiden Künstler: "Wir mögen es, wenn unsere Arbeiten den Körper vor Lachen schier bersten lassen."

Mit Twisted Sister in den Kampf

Explosiv sind sie auch auf anderen, komplexen Ebenen, denn seit fünf Jahren erforschen Allora-Calzadilla die Frage, wie elementar und folgenreich Militär und Musik als nur scheinbar gegensätzliche Machtwerkzeuge miteinander verflochten sind.

Schon der biblische Heerführer Josua ließ seine Soldaten so lange trompetend um die Stadt Jericho herumwandern, bis deren Mauern am siebten Tag einstürzten und der Weg ins gelobte Land frei war.

Seitdem begleiten Instrumente und Lieder die Soldaten, Leichenberge und Trümmer aller Massaker bis hin zu Vietnam und den jüngsten Schlachten im Irak und in Afghanistan. Sounds sollen Mut machen und anfeuern, Aggressionen verstärken, Gehorsam erzwingen, Befehle bekräftigen, Feldzüge begleiten und Sieg und Niederlage signalisieren.

Welche zum Teil hochpopulären Töne die Ars Militaria geboren hat, das führen Allora & Calzadilla im Kunstverein wie im Haus der Kunst nun mit vier großartigen Performance-Klang-Skulpturen vor. Beide trafen sich während des Studiums in Florenz, wurden ein Paar, und seit 1995 arbeiten die Amerikanerin Jennifer Allora, 34, und der drei Jahre ältere gebürtige Kubaner Guillermo Calzadilla von ihrem Lebensmittelpunkt San Juan in Puerto Rico aus zusammen; seit der Jahrtausendwende mit rasant wachsendem internationalen Erfolg.

Höllenlärm

"Clamor", 2006 entstanden, uraufgeführt im Moore Space während der Art Basel Miami Beach und danach in der Kunsthalle Zürich, der Londoner Serpentine Gallery sowie auf der Biennale in Lyon gezeigt und nun im Mittelraum des Kunstvereins aufgebaut, ist ein gigantisches Styropor-Hybrid-Gebilde, oszillierend zwischen Betonbunker und Caspar-David-Friedrich-Klippenlandschaft.

Die Felsen wachsen dem scharfkantig ineinander verschachtelten Gehäuse mit seinen zwei Flachkuppeln gewissermaßen aus den Flanken und über den Kopf, und aus den schmalen schwarzen Sehschlitzen schieben sich abwechselnd gellend, brodelnd und prustend die Schalltrichter von Trompete, Tuba oder Posaune, geblasen von einem Orchester im Bauch des Kolosses, das eine Flötistin und ein Schlagzeuger ergänzen.

Ihr Repertoire entspricht dem Titel: höllisches Gezeter und Gekreische, 40 Minuten lang am Rand der Kopfschmerzgrenze, aus dem man irgendwann bekannte Melodiefragmente oder Taktbruchstücke herauszuhören glaubt.

Lesen Sie auf Seite 2 über die Allegorie des Größenwahns.

Nicht zuletzt der Pegel der Schallattacke verweist auf seinen Gehalt: Die Musiker spielen (übrigens während der Dauer der Ausstellung immer live) Kampf-Refrains und Schlachtenpop quer durch die Jahrhunderte vom SS-Schlager über Nationalmärsche, das Revoltelied "Varshavianka" von 1831 oder Garibaldis Freiheitshymne bis hin zu Welthits wie Bruce Springsteens "Born in the U.S.A.", zu denen - wie zu "I love you" von Barney, dem Dinosaurier aus der Fernsehserie - Gefangene auf Guantanamo gefoltert wurden.

Auch "We're not gonna take it" der Hardrock-Band Twisted Sister, Lieblingssong der US-Truppen während der Invasion in Panama, ist in den martialischen Geräuschtumult hineingewoben.

Er übersetzt das humanitäre Desaster aller Kriege gewissermaßen in Akustik, noch dazu in eine, die wie Musik allgemein eher als völkerverbindend denn als kriegstreibend gilt.

Hitlers Geburtstagsständchen

Und trifft damit den Besucher ins Mark. Verstört und hautnah begreift dieser, dass im Takt seiner Lieblingssongs gefoltert und gemordet wird, wie selbstverständlich Musik als Propaganda und infame Waffe eingesetzt wird und wie sie das Unterbewusste nicht nur auf Konsum-, sondern auch Tötungsbereitschaft hin konditioniert.

Allora & Calzadilla legen wie Joseph Beuys, den sie verehren, den Finger auf die Wunde der dunklen Seite der Klänge. Sie präsentieren sie wie Fahnen oder Uniformen als symbolisches Material, das Täter und Opfer im Ausnahmezustand nicht mehr verbindet, sondern brutal trennt und ihr Gedeih und Verderben auf perverse Weise orchestriert.

Auch die beiden anderen Installationen im Kunstverein, "Wake up" und "Sediments Sentiments (Figures of Speech)", beide 2007 entstanden, dekonstruieren Klang als Material, das gerade wegen seines emotionalen Potentials missbraucht werden kann.

So knüpft "Wake up" mit einer Zwischenwand im hinteren Raum an die Tradition minimalistischer Eingriffe an. Licht überflackert sie rosé bis grellweiß flackernd, während sieben Avantgarde-Trompeter die berühmte Aufwachsequenz jeweils auf ihre Art interpretieren.

"Sediments Sentiments" treibt "Clamor" auf den Gipfel der Persiflage mit einem völlig amorphen, wie zerbombt wirkenden Höhlenmonstrum, in dem Sänger sitzen und liegen, die Satzsplitter aus Propagandareden von Martin Luther King bis Saddam Hussein tirilieren, trällern und jodeln.

Als groteske Allegorie von Größenwahn antwortet diese Skulptur auf den Irrsinn der Zerstörung mit dadaistischem Sarkasmus, jenem Lachen über dem Abgrund, das mit der Katastrophe tanzt. Beinahe ein Ballett ist auch die jüngste, unbedingt sehenswerte Arbeit des Duos, "Stop, Repair, Prepare" in der Ehrenhalle im Haus der Kunst, - ein anarchisches, kein panisches Menetekel.

Dem Wahnsinn nah

In einem Loch, mitten in einen Flügel hineingeschnitten, steht die junge Pianistin Andrea Giehl, die Beethovens Ode "An die Freude", eine der unvergänglichsten Kompositionen überhaupt, variiert - Arme und Oberkörper nach vorne über die Tasten geworfen und dabei mit dem Instrument durch den Raum wandernd.

Die parodistische Performance entfaltet ihre komische Subversivität noch stärker, wenn man sich erinnert, dass Beethoven dem vierten Satz seiner neunten Sinfonie einen türkischen Marsch mit hässlichen "Grunzlauten", wie Kritiker monierten, einverleibte.

Er vor allem inspirierte die Künstler, und darüber hinaus die tiefenpsychologisch faszinierende Tatsache, dass die Ode Hitlers Geburtstagsständchen ebenso war, wie sie offizielle Hymne der Europäischen Union ist.

Genau an dieser Stelle gerät die "Alle Menschen werden Brüder"-Ekstase zum Damoklesschwert.

Allora & Calzadilla, "Wake up, Clamor, Sediments Sentiments (Figures of Speech)", Kunstverein München, bis 13. Juli. Info: www.kunstverein-muenchen.de; "Stop, Repair, Prepare: Variationen zur Ode ,An die Freude' für ein präpariertes Klavier", Haus der Kunst, Performances bis 14. September, Info: www.hausderkunst.de.

© SZ vom 14./15.06.2008/mst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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