Künstler Damien Hirst:Das goldene Kalb

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Er ist Künstler und Unternehmer, unerschöpflich Schaffender und Schlossbesitzer: Keiner vermarktet sich schlauer als der britische Künstler Damien Hirst.

Holger Liebs

In einer gar nicht so fernen Zukunft könnte es passieren, dass die Menschen sich verwundert die Augen reiben: Sind damals, zur Jahrtausendwende, wirklich 100 000 Neugierige in die New Yorker Galerie Gagosian gepilgert, um sich ein sechs Meter hohes Anatomie-Modell aus Bronze oder einen Gynäkologiestuhl in einem Aquarium von Damien Hirst anzusehen?

Verlieh die New York Times der Schau damals wirklich das Prädikat "perfekt", rühmte der New Yorker den Künstler tatsächlich als "bedeutend"? Und warum wurde eigentlich nochmal so viel Aufhebens gemacht um Hirsts mit Diamanten besetzten Totenschädel? War dieser Brillikopf nicht nur ein obszönes Symbol luxuriöser Verschwendungssucht, eine maßgeschneiderte Trophäe für Hedge-Fonds-Milliardäre, jener Spezies also, die so um das Jahr 2011 herum gnadenlos Schiffbruch erlitt?

Der Künstler Damien Hirst, der heute so erfolgreich ist, dass er sich ein neugotisches Schloss bei Gloucestershire leisten kann, könnte einer Feme anheimfallen, so dass er plötzlich totgeschwiegen, verdrängt und vergessen werden würde.

Schall und Rauch

Und all diejenigen, die schon immer gewusst haben werden, dass dieser Hirst ein Scharlatan sei, ein aufgeblasener Plagiator, werden erklären, dass das ganze Kunstsystem der so genannten nuller Jahre verrottet und ahnungslos gewesen sei.

Allein, diese Zukunftsvision, so sehr sie auch viele befürworten würden, ist vor allem erstmal dies: eine romantische Projektion. Kunstgeschichte verträgt sich nicht mit Prophetie. Der Historiker sortiert ja nur nachträglich, was die Evolution der Formen im Museum übrig ließ.

Doch ist es kein Zufall, dass, sobald von Damien Hirst die Rede ist, eine Art darwinistischer Diskurs losgetreten wird. Hirsts Werke sind nur die augenfälligsten Symbole eines Kunstmarktes, der sich auf einem Allzeithoch befindet. Da fällt es professionellen Auguren nicht schwer, den nächsten Crash vorherzusagen.

Und unweigerlich taucht dann auch die Frage auf: Welche Künstler werden überleben, wenn es soweit ist? Und wessen Werke kann man getrost im Orkus des Vergessens verschwinden lassen? Über Hirst wurde so oft geschrieben, dass seine Kunst nun wirklich das Letzte sei, und er befeuert seine Kritiker auch noch mit Zynismen, dass man das Gefühl nicht los wird, dass gerade deshalb an seinem Werk etwas dran sein muss.

Magische Schauwunder

Keiner durchleuchtet so raffiniert die Mechanismen des Marktes wie er, keiner weiß sie so gewandt für die eigenen Zwecke zu nutzen wie er. Er war von Anfang an Unternehmer in eigener Sache. Schon den berühmten in Formaldehyd eingelegten Hai ließ er, noch als 26-jähriger Jungstar, als Auftragswerk vom Sammler Charles Saatchi finanzieren.

Doch das Werk "The Impossibility Of Death In The Mind Of Someone Living" (1991) war auch eine künstlerische Punktlandung: eine freche Verhöhnung der Minimalisten und ihrer dogmatischen Anbetung perfekter kubischer Formen durch Nutzbarmachung einer solchen Kiste für ein Monstrositäten-Schaustück, das jedem naturhistorischem Museum zur Ehre gereichen würde.

So widmete Hirst den leerlaufenden Formalismus der Künstlergeneration vor ihm mittels einer so kraftmeierischen wie eiskalten Geste um: Das konservierte Raubtier wurde schnell zum bildmächtigen Symbol eines immer gefräßigeren Marktes, der inzwischen verschlingt, was nicht in den Museen festgezimmert wurde.

Doch diese Kunst fordert auch zum Staunen heraus: Hirst bedient mit seinen verewigten Kreaturen auch eine ortlos gewordene Sehnsucht nach magischem Schauwunder, die neuerdings in der Kunstwelt wieder eine Heimat findet. Warum pilgern sonst so viele Menschen ergebenst in die Museen, Kunstgalerien, Messen und Auktionen?

Der Künstler als Großunternehmer

Hirst bietet, mit seinen Arbeiten zwischen Naturalienkabinett und Kultobjekt, mit seiner Obsession für Schönheit, Tod und Verfall, Symbole der Vergänglichkeit an - aber ihre unterkühlte Präsentation entzieht sie gleichzeitig jeder Gefühligkeit. Sie kultivieren eine abweisende Fremdheit, die im Widerspruch steht zu ihrer symbolschwangeren Thematik. Hirst verwandelt Ausstellungssäle in Wunderkammern, die frösteln machen.

Der mit 8601 Diamanten bepflasterte Schädel "For The Love Of God" war der nächste logische Schritt in einer Operation, die Hirsts Arbeiten anschließbar an die künstlerische Thematik des Todes machen sollte. Vom mittelalterlichen Reliquienkult bis zur barocken Emblematik reicht die Bildtradition des verzierten Totenkopfes.

Dass Hirst selbst zu dem Konsortium gehörte, welches "For The Love Of God" schließlich erwarb, um die Arbeit zu vermarkten, passt zur Strategie des Künstlers, der seine Kunst selbst offensiv als "Marke, die in einer Fabrik hergestellt wird" bezeichnet - ganz im Sinne Andy Warhols.

Hirst beschäftigt heute 200 Mitarbeiter; er entwarf für Levi's Jeans mit Swarovski-Kristallen; er vertreibt Hirst-Memorabilia auf seiner Website "Other Criteria"; er hat über tausend Kunstwerke gesammelt; die Kollektion heißt "Murderme" und ist mit 100 Millionen Pfund versichert.

Lesen Sie auf Seite 2 über die Unberechenbarkeit des Kunstmarkts.

Hirst ist ein unabhängiger Entrepreneur - er schafft Installationen, fotografiert, filmt, produziert Musik und Bücher, er malt und war auch schon mal Restaurantbesitzer.

Und nun gibt er im September neue, eigene Arbeiten bei Sotheby's selbst in eine Auktion und erhält dafür auch noch den Segen seiner Galerien Gagosian und White Cube, die eigentlich für den Verkauf zuständig sind.

Das Hauptlos der Auktion ist "The Golden Calf", ein Stier in Formaldehyd, dessen Kopf bekrönt wird von einer Scheibe aus massivem Gold. Das Auktionshaus taxiert das Kalb auf acht bis 12 Millionen Pfund. Der Titel des Werks ist auch eine self-fulfilling prophecy - ein bissiger Kommentar zur Kunstmarkt-Hausse.

Hirst bezeichnete den Markt in einem Interview mit der SZ einmal als "Naturgewalt", die man bezähmen müsse: Man müsse darauf achten, dass das Geld die Kunst jage, nicht umgekehrt.

In den Fünfzigern gab es einen Künstler, dessen Erfolg erstaunliche Parallelen zum heutigen Status von Hirst aufwies. Der Mann galt als teuerster Maler Europas und wurde schon zum Nachfolger Picassos ausgerufen.

Mit kaum zwanzig besaß er einen Exklusivvertrag mit einer Pariser Galerie. Dort zog er, wie Hirst, im Jahr 1958 binnen weniger Wochen 100 000 Besucher an - da war er noch keine dreißig. Und bald legte er sich ein Schloss beim Wald von Montmorency sowie einen silbergrauen Rolls Royce zu.

Dieser Mann hieß Bernard Buffet und malte zeit seines Lebens etwa 8000 Bilder - 1999 beging er Selbstmord. Der Existentialismus fand in ihm eine Galionsfigur. Warhol, Cocteau und Aragon rühmten ihn. Den Namen Buffet verbindet man mit dem "Miserabilismus". Er malte elendige, ausgemergelte Figuren, gefangen im immergleichen schroffen Umriss, in hartkantigen Lineaturen.

Golgatha und Prêt-à-porter

Flach sind diese Schemen, ohne Psychologie, aber immerhin noch erkennbar: Es war die hohe Zeit der Abstraktion, und Buffet, der unterschiedslos Eulen, Bentleys, Skylines, Harlekine, Christi Kreuzigung, Clowns, Kriegsgräuel und Nackte an der Côte d'Azur in die borstig-stacheligen Skelette seiner fleisch- und schattenlosen Kompositionen einsperrte, ging einfach stur seinen Weg gegenständlicher Malerei weiter - bis er gleichsam aus der Geschichte fiel: Die Elendsmalerei des Superstars, der nun Zahnarztpraxen mit Reproduktionen füllte, wurde in einer Reihe legendärer Verrisse gnadenlos in die Tonne getreten; Museen sperrten seine Arbeiten verschämt in die Giftschränke.

Dort hat ihn erst, nach einigen zaghaften Rehabilitierungsversuchen in den Neunzigern, das Frankfurter Museum für Moderne Kunst herausgeholt, das Buffets Œuvre noch bis zum 3. August ausstellt.

Woran scheiterte Buffet? Vielleicht vor allem an der himmelschreienden Beliebigkeit seiner Motive zwischen Golgatha und Prêt-à-porter. Sicher auch an seiner Unfähigkeit, sich künstlerisch weiterzuentwickeln, sowie an seiner Malmaschinerie, an der Marktüberflutung mit Nähmaschinen und Fischskeletten.

Doch vor allem durfte ein parvenühafter Schlossbesitzer damals nicht ausgerechnet das Elend der Nachkriegsjahre malen; er galt als unglaubwürdig -"Ausbeutung" hieß die Schmähvokabel.

Im Haifischbecken

Hirsts Reichtum macht ihm heute kaum jemand zum Vorwurf, im Gegenteil, er steigert seinen Ruhm. Er hat sicher auch schwache, dekorative Werke geschaffen.

Museen fassen bis heute sein Œuvre nicht mit der Kneifzange an - doch Hirst ist über den üblichen Weg musealer Nobilitierung längst hinaus. Er schließt Kunstgeschichte und Kunstmarkt einfach kurz - und beherrscht dazu noch die Aufmerksamkeitsökonomie der Medien.

Langer Marsch durch die Institutionen? Nicht für ihn. Aber das alles wäre noch nicht ausreichend für seinen Erfolg - wenn Hirst nicht seine eigene Künstlerrolle immer genau reflektieren würde. Und wenn er, mit dem Hai, nicht so etwas wie das Kunstwerk der neunziger Jahre geschaffen hätte.

Wer ihn nur auf seine Marktstrategie reduziert, verkennt seinen künstlerischen Rang. Es dürfte auch in Zukunft schwer sein, ihm zu entkommen.

© SZ vom 25.6.2008/mst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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